heute in Bremen
: „Auf der Straße sozialisiert“

Flucht In der Friedensgemeinde diskutiert ein Podium über die Integration der „Nordafrikaner“

Lutz Müller

:

55, ist seit 2012 Präsident der Bremer Polizei. Zuvor war er Referats­leiter für „Führung und Einsatz des Polizeivollzugsdienstes“ in der Bremischen Innenbehörde.

taz: Herr Müller, aus der Bevölkerung gibt es laute Klagen darüber, dass die Polizei von den nordafrikanischen Jugendlichen überfordert ist.

Lutz Müller: Überfordert ist die Polizei nicht, das Problem betrifft aber das Gemeinwesen insgesamt. Die Polizei hat eine Ermittlungsgruppe eingesetzt, die zusammen mit anderen Einheiten für den notwendigen Kon­trolldruck sorgt, wir haben viele Haftbefehle erwirken können.

Wie viele sitzen derzeit in Haft oder U-Haft?

Derzeit 14. Das ist für Bremen eine große Zahl, wir haben sonst einen oder zwei gehabt. Insgesamt gab es im vergangenen Jahr rund 40 U-Haft-Befehle. Es handelt sich aber um Jugendliche. Nach ein paar Monaten treffen wir sie auf der Straße wieder, da Jugendstrafen in der Regel kurz ausfallen.

Wie hoch ist die Zahl derer, auf die Sie Kontrolldruck ausüben?

Von den 2.600 unbegleiteten minderjährigen Ausländern in der Stadt bereiten uns rund 100 Sorgen, davon fallen 30 bis 50 durch eine besondere Qualität und Anzahl der Straftaten auf. Diese werden eng durch die Ermittlungsgruppe begleitet.

Könnte eine geschlossene Unterbringung helfen?

Geschlossene Unterbringung ist ein Synonym für weitergehende Maßnahmen, die Effekte bringen sollen bei der Gruppe, die erhebliche Bildungs- und Sozialisationsdefizite mitbringt. Die meisten nehmen Drogen oder Medikamente. Wenn man die mit Jugendhilfe erreichen will, muss man sie intensiver betreuen. Diese Gruppe entzieht sich aber jeglicher Maßnahme – die erreicht man nicht mit freiwilligen Angeboten pädagogischer Arbeit. Wir wünschen uns aber auch von anderen, dass man sich deutlicher auf diese schwierige Gruppe fokussiert – analog unserer Ermittlungsgruppe. Wir würden uns etwa bei der Sozialbehörde einen anderen Betreuungsschlüssel und eine konzentrierte Verantwortlichkeit bei Casemanagern und Amtsvormündern wünschen, mit denen wir uns abstimmen könnten. Es gibt sicherlich vieles, was man unterhalb einer intensivpädagogischen Unterbringung noch forcieren könnte.

Waren diese Jugendlichen in ihrer nordafrikanischen Heimat auch schon Outlaws?

Wir kennen nur von wenigen die Lebensläufe genau. Oft stammen sie offenbar aus prekären Verhältnissen auch nach nordafrikanischen Kriterien, Kinder von Landarbeiterfamilien, viele in Marokko oder Algerien auf der Straße sozialisiert. Viele schlagen sich seit Jahren durch Europa, versuchen sich der Registrierung zu entziehen und wechseln den Ort, wenn der staatliche Druck größer wird. Das sind Menschen, bei denen nicht erkennbar ist, dass sie sich integrieren wollen.

Interview: Klaus Wolschner

19 Uhr, Friedensgemeinde