Parteipolitik: Die SPD sucht einen neuen Kopf
Als Kandidaten für den Landesvorsitz präsentieren sich Richterin Sascha Aulepp und IT-Berater Mustafa Güngör. Die Basis soll per Urabstimmung entscheiden.
BREMEN taz | Dieter Reinken, seit 2014 SPD-Landesvorsitzender, hat keine Lust mehr. Der Gewerkschafter hat im September angekündigt, dass er nach zwei Jahren im Amt nicht mehr weiter machen will. Besonders erfolgreich war er nicht. Zwei Bürgerschaftsabgeordnete bewerben sich nun um den Posten an der Spitze der SPD, der IT-Fachmann und bildungspolitische Sprecher Mustafa Güngör (37) und Amtsrichterin Sascha Aulepp (45), rechtspolitische Sprecherin der Fraktion.
Der SPD-Landesvorstand hat beschlossen, dass eine Mitgliederbefragung die Entscheidung bringen soll. Am Mittwoch war in Gröpelingen die erste von insgesamt acht Vorstellungsrunden, in denen die Kandidaten sich präsentieren und den Fragen der Mitglieder stellen müssen.
Warum hat jemand Lust, Landesvorsitzende oder Landesvorsitzender zu werden? Woran ist Dieter Reinken gescheitert? Solche Fragen werden in der SPD höchstens hinter verschlossenen Türen gestellt. Die zwei BewerberInnen referierten am Mittwoch munter Allgemeinplätze aus dem Parteiprogramm, als gäbe es solche Fragen nicht. Sascha Aulepp erhielt viel Beifall für ihre Formulierung, sie wolle nicht nur Politik für den kleinen Mann machen, sondern auch „für die kleine Frau“. Die Arbeit der Sozialdemokraten werde daran gemessen, dass sich das Leben der Menschen „konkret verbessert“.
Die SPD müsse „kampagnenfähiger“ werden, formulierte Güngör. Und er zitierte Wilhelm Liebknecht: „Wissen ist Macht“. Bildung sei also wichtig, er habe „federführend“ an der letzten Schulreform mitgearbeitet. Gleichzeitig stellte er fest, dass der Bildungserfolg immer noch mit der sozialen Lage gekoppelt sei – „das verletzt mich.“ Ist da vielleicht etwas schief gelaufen? Kein Gedanke. Güngör versichert stattdessen: „Unsere Partei muss nicht nur Motor sein, sondern auch das Lenkrad in die Hand nehmen.“
Aus dem Publikum kommt die Frage nach dem ÖPNV. Kostenloser ÖPNV, ja das sei das „Fernziel“, sagt Kandidatin Aulepp. Nun sei aber die BSAG eine Privatfirma. Eine Aktiengesellschaft, fügt Güngör hinzu. Soll heißen: Keine Chance also, Fernziele umzusetzen. Dass der BSAG-Vorstand vor zwei Jahren erklärt hatte, wenn die Stadt die 100 Millionen Einnahmen durch den Ticket-Verkauf ersetze, könne es sofort den Nulltarif geben, erinnert hier offenbar niemand.
Die Zuwanderung müsse man „meistern, aber das darf nicht auf Kosten derer gehen, die hier leben“, ist auch so ein Leitsatz, den beide teilen. Im Nebel der Gemeinplätze, in dem sich die Kandidaten präsentieren, ist keine Differenz zu erkennen. Beide sind auch für einen „starken Staat“, meinen aber einen sozialdemokratischen Staat. Dass diese Parole keine ursprünglich sozialdemokratische und gefährlich offen ist, kommt niemandem in den Sinn. Der starke Staat soll umverteilen, und auch da sind sich beide Kandidaten einig: „Es gibt Schlimmeres als einen hohen Schuldenstand“, sagt Aulepp. „Das Beharren auf einer schwarzen Null ist verhängnisvoll“, sagt Güngör. Ob sie ernsthaft glauben, mit solchen Sprüchen auf Haushaltsberatungen Einfluss nehmen zu können?
Die Aufgabe des Landesvorsitzenden ist es auch mehr, den Wahlkampf zu organisieren. Die SPD müsse „mehr von dem umsetzen, was wir versprechen“, gibt Güngör als Parole aus. „Politik machen, die bei den Menschen ankommt“, will Aulepp. Das heißt in Gröpelingen: Der Streichelzoo muss erhalten bleiben. Er trägt übrigens den schönen Namen „Wilder Westen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“