„Ich hätte mir ein anderes Wording gewünscht“

Baden-Württemberg Nimmt die CDU den umkämpften grün-roten Bildungsplan zurück, wenn sie wieder an die Regierung kommt? Der Stuttgarter CDU-Abgeordnete Stefan Kaufmann wiegelt ab. In der Flüchtlingsfrage steht er aber eher bei Gauck als bei Merkel

Kiss-in für gleiche Rechte: Christen-Fundis machten 2014 gegen die Sexualaufklärung mobil Foto: attenzione

INTERVIEW Jan Feddersen

taz: Herr Kaufmann, wie geht es Ihnen als Baden-Württemberger Abgeordneter der CDU?

Stefan Kaufmann: Durchaus aufgewühlt. Die CDU verliert tendenziell in den Umfragen, aber noch ist die Wahl nicht gelaufen. Wir haben noch knapp zwei Wochen.

Analysen sagen, die Grünen in Baden-Württemberg profitieren davon, dass sie einhellig hinter der Politik der Kanzlerin stehen. Sie auch?

Letztlich gibt es keine Alternative zur Politik der Kanzlerin. Wir waren uns einig auf dem Bundesparteitag, dass es nur eine europäische Lösung geben kann, keine nationalen Alleingänge – also auch keinen deutschen Alleingang.

Viele Unionsleute – vor allem die CSU in Bayern – kritisieren scharf den Merkel’ schen Satz: „Wir schaffen das.“

So eine Zuversicht, dass man schwierige Herausforderungen meistern kann, entspricht dem baden-württembergischen Naturell. Wenn ich jetzt in Stuttgart sehe, dass auf 600.000 Einwohner 10.000 Flüchtlinge kommen – und das bei einer Stadt, die ohnehin eine hohe Zahl an Menschen mit Migrationshintergrund aufweist –, dann kann man das natürlich schaffen, auch diese Menschen zu integrieren. Aber diejenigen, die sich Sorgen machen, wollen eben einen Plan erkennen, wie wir mit den vielen Flüchtlingen, die noch unterwegs sind und zu uns kommen wollen, umgehen.

Ach, schon wieder die Sorgen. Könnte man sich nicht auch über die Leute freuen, die in Deutschland eine neue Heimat finden?

Ja, das kann man, zumal, wenn man sieht, dass man Schutz geben kann. Und dass es uns mittelfristig – da spreche ich als Bildungspolitiker – auch helfen kann, unsere Fachkräftesituation zu verbessern. Wir haben ja in vielen Bereichen einen Mangel: im Handwerksbereich etwa. Wir müssen uns ohnehin, wenn wir das Thema Flüchtlinge in den Griff bekommen haben, über geregelte Zuwanderung unterhalten. Hauptsache, wir schaffen es besser als in der Vergangenheit, die Migranten auch zu integrieren.

Baden-Württemberg wirbt mit dem Spruch, man könne alles, außer Hochdeutsch.

In der Tat. Und deshalb denke ich, dass gerade wir uns gut daran täten, dass wir diese Zuversicht mit der Kanzlerin teilen und jetzt nicht so in Ängstlichkeit verharren.

Apropos Ängstlichkeit – und somit zum Bildungsplan, der Schulaufklärung zu Sexualität auch in nicht heterosexueller Hinsicht entdramatisieren will. War die Rolle der CDU in dieser Debatte eine glückliche?Meine Partei tat sich in Teilen etwas schwer, aber hat sich letztlich nicht auf die Seite der „Demo für alle“ gestellt …

die die Frage der Schulaufklärung in Bausch und Bogen verdammt hat.

Ja, wir haben uns zu den Entwürfen kritisch geäußert. Aber jetzt diskutieren wir nicht mehr über die Frage, dass Gleichstellung oder gleichgeschlechtliche Lebensentwürfe in unserer Gesellschaft eine Rolle spielen. Es besteht weitgehend Konsens, dass man darüber in der Schule reden kann und auch reden soll. Es geht mehr um die Frage des „Wie“. Und es geht auch ein Stück weit um das Erziehungsrecht der Eltern.

Der Verweis auf das Erziehungsrecht der Eltern klang hier besonders wie eine Ausrede. Hätte die CDU nicht sagen können: Wenn wir nicht in der Schule Aufklärung schaffen, holen sich unsere Kinder den Stoff aus dem Internet.

Nach meinem Eindruck ging es nicht nur um gleichgeschlechtliche Lebensweisen, sondern um die Frage der Sexualaufklärung überhaupt – und eben um das vorrangige Elternrecht, das sexuelle Thema an ihre Kinder heranzutragen. Seitens der CDU ging es am Ende nur um Detailkritik.

Müsste nicht eine moderne konservative Partei besonders darauf achten, Vielfalt – auch in Schulen – als zu bejahenden Wert zu beschreiben?

Stefan Kaufmann

Foto: CDU

46, ist Kreisvorsitzender der CDU in Stuttgart. Der Rechtsanwalt sitzt als Abgeordneter für den Wahlkreis Stuttgart I ("Stuttgart-Süd") seit 2009 für die CDU im Bundestag, seit 2001 ist der Katholik mit seinem Lebenspartner verpartnert.

Die Vielfalt des Lebens zu beschreiben war ja nicht in Abrede gestellt. Wir als CDU hätten das Thema nicht so aufgesetzt, aber die Frage an sich muss auch uns beschäftigen, wie wir das Ganze dann in der Schule vermitteln. Wie etwa schützen wir Kinder vor Pornografie im Internet? Da hat die Schule natürlich einen Part neben dem Elternhaus, zumal viele Eltern das zu Hause auch nicht mehr leisten können. Wobei: Es gibt oft weder ideale Eltern noch ideale Lehrer. Die diskutierten Bildungsinhalte müssen im Lehrplan eine Rolle spielen.

Wobei: Gleichgeschlechtliche Lebensweisen als Abweichung oder als gleichberechtigte?

Als Teil der Normalität.Wird die CDU, falls sie denn die nächste Stuttgarter Regierung stellt, diese Bildungsimpulse zurücknehmen?Im Wahlkampf geht es um drei zentrale bildungspolitische Fragen: um den Wegfall der Grundschulempfehlung, um den Ausbau der Gemeinschaftsschule und um G 8/G 9. Die Bildungsplandebatte hat diese drei Punkte überlagert. Wir werden die Grundschulempfehlung nicht wieder einführen, aber wir werden der Empfehlung der Lehrer wieder mehr Gewicht geben. Und wir werden bei G 8/G 9 ein Wahlrecht einführen. Die Gemeinschaftsschulen wollen wir nicht schließen, aber auch nicht weiterhin besonders fördern, auch keine gymnasiale Oberschule in diesen einrichten. Beim Bildungsplan wird man über Details sprechen, aber der Prozess ist ohnehin noch nicht abgeschlossen.

Zurück zur Kanzlerin. Ist es ein strategischer Nachteil für Ihre Partei, die Kanzlerin nicht kritisieren zu dürfen?

Auch die Kanzlerin muss sich Kritik gefallen lassen. Ich hätte mir zumindest das eine oder andere Mal von ihr ein anderes Wording gewünscht.

Was meinen Sie damit?

Ich hätte mir gewünscht, dass sie es ähnlich wie Bundespräsident Gauck formuliert: Wir haben ein offenes Herz, aber begrenzte Möglichkeiten. Wir helfen natürlich allen, die bei uns sind oder zu uns kommen und unserer Hilfe bedürfen, aber unsere Belastbarkeit hat Grenzen. Das ist letztlich ein Satz, den sich viele auch erhofft hatten.