PRESS-SCHLAG Die Olympischen Jugendspiele sind ein schönes Ereignis. Am besten wäre, wenn das keiner wüsste
: Augenblick, verweile doch in Lillehammer

In Norwegen findet derzeit ein hübsches Sportfest statt. Olympische Jugendspiele heißt es, und die Wettkämpfe der 14- bis 18-jährigen Athleten haben mit Olympischen Spielen kaum etwas zu tun. Nicht mal der Finanzier ist gleich, denn das ist im norwegischen Lillehammer zum großen Teil das Internationale Olympische Komitee, während ein Mega­event wie das, was im Sommer in Rio de Janeiro passieren wird, von TV-Geldern und Sponsoren bezahlt wird.

So schön, wie sie sind, offenbaren die Olympischen Jugendspiele doch, wie problematisch eine Kritik am Spitzensport ist, die bloß aus dem Anprangern sogenannter Auswüchse besteht: Gigantismus, Kommerz, zu hoch bezahlte Superstars, Fernsehen, überdimensionierte Bauten.

Weil es diese Auswüchse bei den Olympischen Jugendspielen nicht gibt, schaut aber kaum jemand in diesen Tagen nach Lillehammer. Noch schlimmer: Wenn die Welt hinschauen würde, dann wären sie da, die „Auswüchse“.

Dann würde, ökonomisch gesprochen, eine Marktlücke entdeckt und geschlossen und die große Verwertungsmaschine würde starten: mehr Sportler und mehr Zuschauer in mehr Hotels, mehr Fernsehübertragungen in mehr Länder mit immer größerem Interesse von Sponsoren und anderen Geldgebern.

Gewiss, was derzeit in Lillehammer stattfindet, ist ein grundsympathisches Sportfest mit knapp mehr als 1.000 Athleten aus 72 Ländern. Doch dies zu schreiben, bedeutet zugleich: daran beteiligt zu sein, dass diese Idylle abgeschafft wird. Es ist der gleiche Effekt, den der Restaurant-Geheimtipp in einer Zeitung auslöst: Der als sympathisch gepriesene Laden ist nach der Veröffentlichung überlaufen.

Das derzeit vielfach zu lesende und zu hörende Lob der Olympischen Jugendspiele sollte also auch die Einladung an die Sportöffentlichkeit sein, mal darüber nachzudenken, welche Rolle sie selbst dabei spielt, wenn der Sport marktförmig wird, kapitalisiert und kommerzialisiert wird, ihm also seine „Auswüchse“ wachsen.

So, wie die Verhältnisse sind, dürfte ich, wenn ich will, dass die Jugendspiele so schön bleiben, gar nicht über sie schreiben. Einerseits. Wenn aber die Medien nicht berichteten, dann gäbe es – andererseits – die Spiele bald nicht mehr. Keine Resonanz, keine Klickzahlen, keine Touristen, die zum Ereignis oder danach anreisen, um die ganze Chose zu finanzieren. So sind die Verhältnisse nämlich auch.

„Augenblick, verweile doch!“, könnte man als Konsequenz aus dem Dilemma ausrufen, und vermeintlich Goethe zitieren. Doch schon wäre man wieder drin, in der verfahrenen Situation. So, wie er oben zitiert ist, lautet Goethes Satz nämlich nicht, sondern das ist der Titel der Autobiografie von Boris Becker, mithin eines Athleten, der eher für die sogenannten ­Auswüchse des Weltsports steht.

Ein Lob der netten Spiele bewirkt das Gleiche wie der ­Geheimtipp für ein nettes Restaurant

In Goethes Faust hingegen steht: „Werd’ ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! Du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln schlagen, / Dann will ich gern zugrunde gehn!“ Das ist einerseits die Originalstelle, so unverfälscht wie der jugendliche Wintersport in Lillehammer. Es ist andererseits die Besiegelung des faustischen Pakts mit dem Teufel. Passt irgendwie also doch.

Martin Krauß