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Sound Der schmale Grat zwischen Avantgarde und Pop: eine Begegnung mit Laurel Halo, die heute auf dem Berliner Festival CTM auftrittNo Bullshit

Eine der interessantesten Elektronik-Künstlerinnen der Gegenwart: Laurel Halo Foto: Timothy Saccenti

von Laura Aha

Der Blick ist konzentriert nach unten gerichtet, die Augen ruhen auf den Reglern, während ihre Hände im Wechsel an den Knöpfen drehen. Ihr Körper wippt wie in Trance im Takt der Maschinenmusik, das lange braune Haar verdeckt fast ihr ganzes Gesicht. Wenn Laurel Halo live mit ihren Synthesizern, Effektgeräten und Sequenzern musiziert, scheint es, als existiere nichts um sie her­um. Die 29-jährige US-Amerikanerin zählt zu den interessantesten Elektronik-Künstlerinnen der Gegenwart. So unnahbar sie auf der Bühne erscheint, so zugänglich zeigt sie sich im Gespräch.

„Ich verzettele mich oft und schweife ab, unterbrechen Sie mich einfach“, beginnt sie charmant. Sich selbst und ihr künstlerisches Schaffen allzu sehr in den Vordergrund zu stellen scheint ihr unangenehm. Musik zu machen ist Laurel Halo ein ­inneres Bedürfnis und für sie zum notwendigen Ventil geworden.

Halo wuchs in Ann Arbor auf, einer Collegestadt in der Nähe von Detroit. Hier erhielt sie zunächst klassischen Musikunterricht, entdeckte als Teenagerin aber elektronische Musik für sich. Produzieren brachte sie sich selbst bei. Wer ihre Referenzpunkte jedoch vorschnell im Techno-Erbe von Detroit verorten möchte, greift zu kurz.

Fragt man Laurel Halo nach ihren musikalischen Einflüssen, zückt sie eine Liste mit nicht weniger als 63 Künstlern. Von Jazzmusikerin Alice Coltrane über den Afrobeatbegründer Tony Allen, vom Rapper Kendrik Lamar hin zur neuen deutschen Welle und DAF – „kleine Auswahl“, wie sie lakonisch sagt. „Ich lasse mich in Interviews leicht ablenken, also fing ich an, mir Notizen zu machen. Als ich eine Seite mit Einflüssen vollgeschrieben hatte, merkte ich, dass dies nur Jazzmusiker waren. Was ist mit experimenteller Musik, was mit Pop? Was ist mit Dub, Techno, dem UK-Sound?“ Laurel Halo sammelt Inspirationen mit akribischer Genauigkeit, ihr Referenzrahmen zeugt von Kenntnisreichtum.

Bowie verehrt sie

Um ganz sicher zu gehen, fügt sie auch eine Liste ihrer aktuellen Handyklingeltöne („Hare Krish­na“ von Alice Coltrane), inspirierender Bücher („Parable of the Sower“ der afroamerikanischen Science-Fiction-Autorin Octavia Butler) und TV-Serien („Shark Tank“) hinzu. In Anbetracht ihrer leicht zynischen, humoristischen Art ist dies auch als augenzwinkernder Seitenhieb auf die Referenzbesessenheit von Journalisten zu verstehen.

Laurel Halo ist geschmackstechnisch ein Allesfresser und lässt sich nicht auf Schlagwörter destillieren, ebenso wenig, wie sich ihr Sound auf Genrebegriffe eingrenzen lässt. Gleichzeitig zeigt die Liste, dass die Künstlerin nichts dem Zufall überlässt. In ihren Antworten wägt sie ihre Worte sorgsam, manchmal bricht sie mitten im Gedankengang ab, bevor sie etwas Unüberlegtes sagt. In anderen Momenten scheint es, als fiele es ihr schwer, ihre synästhetische Wahrnehmung von Musik in Worte zu fassen. Sie beschreibt Sound als „undurchschaubaren Ausdruck von Zeit“ und „Leerstelle der Stille“, doch ehe sie den philosophischen Gedanken zu Ende gebracht hat, besinnt sie sich. „So ein Unsinn! Ich schweife schon wieder ab! Lassen Sie uns weitermachen.“

Jazz, Pop. Dub. Cyberstars. Handyklingel-töne. Fragt man Laurel Halo nach ihren musikalischen Einflüssen, zückt sie eine Liste mit nicht weniger als 63 Künstlern

Von Detroit zog es Laurel Halo nach New York, schließlich 2014 nach Berlin. Hier schätzt sie die internationale Künstlerszene und den „No Bullshit“-Ansatz der Künstler. Von ihren Freunden zu Hause musste sie sich im Bezug auf diese „Berliner Jahre“ oft den stichelnden Vergleich mit David Bowie anhören, den sie verehrt. Das Faszinierende an Bowie ist für sie, dass er „komplett Pop und komplett Avantgarde zur gleichen Zeit“ sein konnte. Berlin markiert für sie eine Zäsur in ihrem musikalischen Schaffen und eine Gelegenheit, über ihr bisheriges Werk zu reflektieren. Diese introspektive Phase verarbeitet sie – natürlich – durch Musik. Ihre im Herbst 2015 erschienene Doppel-EP „In Situ“ ist eine Sammlung von Tracks, die in ihrer rohen Klangsprache nach leerstehenden Fabrikgebäuden klingen.

Die technoide Soundästhetik und die dem Break-Beat entlehnten Elemente schielen fast schon in Richtung Club. Das Cover zeigt eine geteerte Straße, auf der zwischen Wasser und Dreck eine Ölspur in Regenbogenfarben aufleuchtet. Grau, mit punktuell erstrahlenden Farben, die raue Struktur der Straße im Kontrast zur fließenden Textur des Wassers, all dies lässt sich geradezu bildhaft in ihrer Musik wiederfinden. „Der Ort, an dem ich lebe, hat Einfluss auf meine Musik“, sagt Halo.

Fan vom Cyber-Star

Der schmale Grat zwischen Avantgarde und Pop ist auch Thema ihres aktuellen Projekts „Still Be Here“, einer Kollaboration verschiedener Künstler, für die sie die Musik produzierte. Es erzählt die Geschichte Hatsune Mikus, die als überlebensgroßes Hologramm internationale Konzerthallen füllt und als erfolgreichster virtueller Popstar der Welt gilt. „Ich bin ein großer Fan von Miku und verfolge ihre Arbeit seit Jahren, sie ist großartig!“, schwärmt Laurel Halo von dem Cyber-Star und beweist einmal mehr ihren musikalischen Weitblick, der die gängigen Kategorien übersteigt und ihren Zugang zur Musik so einzigartige macht.

„Still Be Here“ist heute im Rahmen von CTM und trans­mediale im Berliner Haus der Kulturen der Welt zu sehen

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