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Erster virtueller Popstar, 100.000 Songs, Selfie-Posen & Anti-Selfie-OrtKonzentriert schmollend-romantisch

ausgehen und rumstehen

von Tabea Köbler

Hatsune Miku ist sechzehn, 158 Zentimeter groß und hat porenlose Porzellanhaut. Ihre zierliche Gestalt umwallt hüftlanges türkisfarbenes Haar; sie trägt einen schwarzen Faltenmini und Armstulpen. Sie tanzt mit etwas kantiger Anmut und singt mit mädchenhafter J-Popstimme. Zehntausende kommen zu den Konzerten, auf denen die Mangafigur als Hologramm die Bühne betritt.

Sie ist der erste virtuelle Popstar überhaupt. Hatsune Miku, das bedeutet „Erster Klang der Zukunft“. Ursprünglich zierte sie als Maskottchen die Verpackung der Gesangssynthesizer-Software Vocaloid2 aus dem Jahr 2007. Dann begannen Fans, unter ihrem Namen Songs im Internet zu veröffentlichen – bis heute sind es über 100.000, viele landeten in den Charts.

Samstagabend schwebte sie im Rahmen der Videoperformance „Still Be Here“ über die Bühne im Haus der Kulturen der Welt. Durch Animationen, Dokumentarsequenzen und säuselnden Liebesliedern suchen medienübergreifend nach Hatsune Mikus Identität: Produzentin Laurel Halo, Choreograf Barren Johnston, Virtual Artist LaTurbo Avedon und Digitalkünstler Martin Sulzer. Sie zeigen die Figur als leere Hülle und widerstandslose, phantasmagorische Projektionsfläche menschlicher Bedürfnisse, die trotzdem unverkennbar etwas ist und aus einem Netzwerk Tausender Internetnutzer besteht, die sie mit Inhalt befüllen und bewegen.

Hatsune Miku ist die völlige Entgrenzung, sie besitzt die Freiheit, gleichzeitig alles zu sein und trotzdem immer Hastune Miku zu bleiben. Wir müssen von diesen neuen Ikonen lernen, erklärt ein Mangagesicht mit weisem Ausdruck dem voll besetzten Zuschauersaal, und wir sollten uns vor dem hüten, was der Medientheoretiker Marshall McLuhan „angelism“ nennt, den Verlust des körperlichen Bezugs zur Welt.

Nach dem Auftritt steht Hat­su­ne Miku auf der Bühne für Selfie-Posen bereit. Eine junge Frau mit leuchtend rosafarbener Cosplayperücke steht währenddessen neben dem Hologramm, streckt das Smartphone aus, neigt den hübschen Kopf und legt konzentriert ihr Gesicht zum schmollend-romantischen Ausdruck zurecht.

Die Augen der hundert anderen, die um sie herumstehen und auf ihre eigene Gelegenheit zum Erinnerungsfoto warten, scheinen sie nicht aus der Ruhe zu bringen – das ist ihr Moment mit dem körperlosen Star, der ihr großen Like-Applaus auf den virtuellen Bühnen von Face­book und Instagram bringen wird. Alle fotografieren sich selbst und haben offensichtlich eine Idee davon, wie das, was sie für ihre Identität halten, visuell abzubilden ist.

Später im Berghain wird nicht fotografiert, stattdessen kleben die Türsteher alle Handykameras mit roten Klebepunkten zu. Das mögliche Bild eines Abends wird hier als Einschnitt in die Freiheit der Anwesenden begriffen, die sich in diesen Räumen ganz aus- und erleben können sollen, als genau die Personen, die sie sind. Das New Yorker Kollektiv „The Bunker“ (seit Jahren prägend für die Technoszene Brooklyns) ist in der Klubnacht zu Gast.

Entgrenzung entsteht auch durch das Erleben des Widerstands des Körpers; Schlüsselbeine vibrieren unter den kratzigen Bässen des Live-Sets, tanzend zu Mark Verbos oder Bryan Kasenic, verliert sich jegliches Zeitgefühl. Man sieht die DJs nur schemenhaft hinter dem Pult, und es ist auch nicht wichtig, es geht ja um die Musik. Und trotzdem ist es plötzlich beruhigend zu realisieren, dass dort noch Menschen stehen und kein Hologramm.

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