Press-Schlag
: Patchwork-Pál, der Alleskönner

ERFOLGSCOACH Hertha BSC überrascht dank ihres Trainers alle. Selbst der eigene Sponsor hat vor der Saison nicht viel auf seinen Verein setzen wollen

Doch, auch nach einem 0:0 kann einem schon mal zum Feiern zumute sein. Zumal, wenn der Gegner Borussia Dortmund heißt und man dem Kontrahenten, der eine „gefühlte Meistersaison“ (so zumindest Fredi Bobic) spielt, nahezu ebenbürtig ist. Und zumal dann, wenn der eigene Verein eine Spielzeit hinlegt, die einem wie ein lang andauernder, surrealer Wachtraum vorkommen mag.

So bejubelten die Hertha-Fans am Samstag im Olympiastadion also das dritte Unentschieden – und das zweite Heim-Nullnull – ihres Teams in Folge. Es war ein taktisch geprägtes Spiel, bei dem sich beide Mannschaften oftmals zwischen den beiden Sechzehnmeterräumen egalisierten. Ein Remis, das sich die Gastgeber verdient erkämpft haben.

Statt zu jammern über immer noch keinen Sieg im neuen Jahr, freute die Anhängerschaft sich lieber: immer noch Tabellen­dritter! Jetzt schon 35 Punkte, so viel wie in der ganzen Vorsaison! Sieben Pflichtspiele ungeschlagen! Dortmund zum ersten Mal ohne Torerfolg in dieser Saison dank Hertha-Abwehrriegel!

Der Mann, der hauptverantwortlich für die Genese der neuen Erfolgshertha ist, heißt Pál Dárdai und hatte am vergangenen Freitag auch Grund zu feiern: Er beging das erste Dienstjubiläum als Trainer beim Hauptstadtklub, der diesen Beinamen inzwischen wieder mit Stolz trägt. Von überall überschüttet man den Coach mit Lob. Dass Hertha sich in der Vorsaison nur hauchdünn rettete? Dass Dárdai noch zu Saisonbeginn als ernsthafter Kandidat für die erste Trainerentlassung der Saison galt? Dass Hertha da noch als Abstiegskandidat gehandelt wurde (auch vom eigenen Sponsor übrigens, einem Wettanbieter)? Alles vergessen. Dank Dárdai.

Welchen Trainertypus Pál Dárdai verkörpert, ist dabei gar nicht so leicht zu beantworten. Er ist weder ein asketischer Guru wie Thomas Tuchel noch ein Motivationsmonster à la Klopp. Er hat nicht das Staatsmännische eines Pep Guar­diola, ist kein tüftelnder Nerd wie Lucien Favre, kein Psycho wie José Mourinho (der übrigens beim Spiel am Samstag im Stadion war). Auch das Vaterfigürliche eines Thomas Schaaf oder das Autokratische eines Felix Magath findet man bei Dárdai nicht in Reinform. Eher besitzt der 39-Jährige von all dem etwas. Er wirkt wie ein Patchwork-Coach, der mal generös-kumpelhaft, aber auch streng-strategisch kann. Der zurückgelehnte Rotweintrinker steckt genauso im Pál wie der Lausbube, der Familienmensch und der Old-School-Sportlehrer.

So mancher mag Dardái, der 297 Profispiele für Hertha absolviert hat und die vergangenen 20 Jahre meist in Diensten der Berliner stand, zunächst als Verlegenheitslösung abgetan haben. Ein Jahr später glaubt man eher, dass dieser Trainer dauerhaft das Zeug zum Top-Coach hat. Sicher, er hat im vergangenen Sommer spielintelligente Profis (Vladimír Darida, Mitchell Weiser, Vedad Ibišević) hinzugewonnen, um Hertha seine ganz eigene systemische Therapie zu verpassen. Aber die Organisation der Mannschaft, ihr – vor allem defensives – Funktionieren, das extrem gute Stellungsspiel und die Kombinationssicherheit: das ist schon das Werk des Ungarn. Und wenn man sieht, wie nun die individuelle Klasse der Einzelspieler (Genki Haraguchi, Salomon Kalou) verstärkt aufblitzt, kann Dardái im Bereich Mentalcoaching ganz so schlecht auch nicht arbeiten.

Verdammt schwer zu schlagen sein wird diese Hertha sicher – wenn sie weiter so diszipliniert agiert wie zuletzt meistens. Und ob man am Ende wirklich Schalke, Leverkusen und Mönchengladbach die Champions-League-Plätze wird streitig machen können – das hängt davon ab, was Patchwork-Pál noch so in seiner Trickkiste hat. JENS UTHOFF