Heimkehr am Ende der Odyssee

ORATORIUM Chor und Orchester der Uni Bremen führen ein vor 144 Jahren in Bremen ur- aufgeführtes und dann vergessenes Werk des Komponisten Max Bruch auf: „Odysseus“

Unter der Leitung von Susanne Gläß bringen Chor und Orchester der Uni Bremen den Odysseus nach Hause   Foto: Foto:Claudia Hoppens/Universität Bremen

von Klaus Wolschner

Max Bruch ist einer der großen romantischen Komponisten des 19. Jahrhunderts. 82 Jahre alt war er, als 1920 starb. Aber was hat er in diesem langen Leben gemacht – außer natürlich, sein berühmtes Violinkonzert zu komponieren? Dieses Werk von Weltrang hätte er selbst am liebsten verschwinden lassen, wird erzählt, weil es schon zu seinen Lebzeiten so im Vordergrund stand, dass es Bruchs andere Kompositionen aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängte.

So etwa „Odysseus“: Bruchs Oratorium über die dramatische Irrfahrt der griechischen Sagengestalt. Im Plattenhandel fragt man heute vergebens nach diesem Werk. Bei Amazon wird gerade ein Exemplar einer vergriffenen Aufnahme des NDR angeboten – für 300 Euro. Offenbar also eine Liebhaber-Angelegenheit. Und wer auf Google nach „Bruch“ und „Odysseus“sucht, der findet an erster Stelle Chor und Orchester der Uni Bremen: Am heutigen Samstag wollen sie „Odysseus“ unter der Leitung von Susanne Gläß aufführen.

Keine Premiere, aber eine große Reminiszenz, denn im Jahre 1872 wurde das Werk in Bremen uraufgeführt, dirigiert von Johannes Brahms! Bruch war damals so begeistert, dass er seine Komposition der Bremer Sing-Akademie widmete. Die Originalstimmen des Orchesters liegen in der Bibliothek der Bremer Hochschule für Künste. In den ersten Jahren wurde Bruchs Odysseus so gefeiert wie das Brahms-Requiem.

Brahms dirigierte den Odysseus auch 1875 zum Abschied als Dirigent des Wiener Singvereins. Aber während das Brahms-Requiem ganz oben in den Konzertkalendern blieb, verschwand „Odysseus“ um die Jahrhundertwende aus dem Repertoire. Dabei passte Bruch mit seiner konservativen Gesinnung durchaus in die Kaiserzeit: 1914 gab er sogar seine Ehrendoktorwürde der Universität Cambridge zurück, weil er keine Ehre vom Erzfeind wollte. Wie als Dank und Ersatz bekam er 1918 die Ehrendoktorwürde der kaiserlichen Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität.

Bruchs Vater war königlicher Polizeirat, seine Mutter repräsentierte die musikalische Tradition in der Familie. Schon in seiner Jugend komponierte Bruch Motetten, Klavierstücke, Violinsonaten, ein Streichquartett und sogar Orchesterwerke. 1852 wurde seine erste Sinfonie f-Moll durch die Philharmonische Gesellschaft in Köln aufgeführt.

Sein bekanntestes Werk, das erste Violinkonzert, schrieb Bruch 1865 als Musikdirektor in Koblenz. Er leitete zeitweise die „Philharmonic Society“ in Liverpool, wirkte in Breslau und lange in Berlin, wo er 1920 starb.

Bruch verehrte Johannes Brahms und Felix Mendelssohn Bartholdy – und blieb ihrem Stil bis zum Schluss treu. Damit war er sicherlich als Komponist damals schon „aus der Zeit gefallen“. Erst im Jahre 2008 wurde sein Streichquintett in Es-Dur entdeckt und uraufgeführt, das nie gedruckt worden war.

Bruch gab seinen Ehrendoktor aus Cambridge zurück, weil er keine Ehre vom Erzfeind wollte

Bruch wehrte sich gegen musikalische Neuerungen – wegen seiner wunderbaren Komposition Kol Nidrei (op. 47) galt er dann im Nationalsozialismus als Jude und auch seine populäreren Werke verschwanden von der musikalischen Bühne.

Bruch war als Komponist des Männergesangs bekannt in seiner Zeit, das kann man auch im Odysseus hören. Lieder von Heimat und Freiheit hat er schon in seinen Jugendjahren komponiert, zum Repertoire der Gesangsvereine gehörte der „Römische Triumphgesang“ (op. 19), er vertonte Joseph Victor von Scheffels Nordmännerlied: „Der Abend kommt und die Herbstluft weht, Reifkälte spinnt um die Tannen, O Kreuz und Buch und Mönchsgebet – Wir müssen alle von dannen.“

Mit dem „Odysseus“ nahm sich Bruch einer Geschichte an, die damals zum deutschen Bildungsgut gehörte und auf den griechischen Dichter Homer zurückgeht: Der Trojanische Krieg ist beendet. Über das Ägäische Meer, wo heute die Flüchtlingsboote übersetzen, wollen die siegreichen Griechen in die Heimat zurück. Kriegsheld Odysseus muss den Peloponnes umsegeln, um in sein Ithaka zu gelangen. Als ein Sturm die Flotte überrascht, werden Odysseus’ Schiffe ins offene Mittelmeer hinausgetrieben. Es beginnt eine dramatische Irrfahrt …

Samstag, 20 Uhr, Glocke