piwik no script img

Kinder sind DadaUndtschüss

Foto: privat

Darum Maik Söhler

Wieder quäle ich mich mit dieser Kolumne. Wieder sind es zu viele Verwandte und Bekannte, die beim Schreiben unsichtbar hinter mir stehen und mir reinreden, was ich zu schreiben und was ich zu lassen habe. Die Kinder, aber auch die Frau, die Großeltern, Kollegen, Freunde, andere Eltern, sogar Lehrer der Kinder. Meine Kinder wurden schon von ihren Lehrern auf die Kolumne angesprochen. Sie waren stolz darauf, mir war es peinlich.

Peinlich, weil sich so die Galerie derer vergrößert, an die ich denke, wenn ich über meine Kinder schreibe. In der Realität ist da niemand, der hinter mir steht. Keiner redet mir beim Schreiben rein. Es sind aber so viele Gespräche über „Darum“ geführt worden, darüber, Teile des Lebens meiner Kinder öffentlich auszubreiten, egal ob real oder verfremdet, dass es sich so anfühlt, als stünden sie alle da und schüttelten den Kopf. Kurz: Ich bin beim Schreiben nicht mehr frei, es macht keinen Spaß mehr, es ist nur noch Fügsamkeit in ein Format, das befüllt werden muss.

Ich will mich nicht mehr fügen. Im Gegenteil. „Ich will meinen eigenen Unfug, und Vokale und Konsonanten dazu, die ihm entsprechen“, schrieb Hugo Ball vor knapp 100 Jahren im Dada-„Eroeffnungs-Manifest“. Und ich will den Zweifel an allem und jedem, für den Dada steht, und den der Twitter-Account „Dada100Zürich2016“ mit dem schönen Hashtag #Zweifel betont: „Eine einfache Frage genügt meistens, um uns aus unserem Alltagstrott und unseren Routinen zu befreien und Platz für Inspiration zu schaffen.“

Nun denn, Unfug mit eigenen Vokalen und Konsonanten: Arrrgggh!!! Gruuunzzz!! Raus mit all den Geräuschen, die Kinder so machen, wenn sie sich unbeobachtet fühlen. Popeln und laut furzen, von Kindern lernen, niemals Maß zu halten. Sich in der „M&M-World“ vollfressen, statt darüber zu schreiben. Hemmungslos streiten ohne Kompromisse. Und vor allem: einfach alles so stehenlassen.

Nun denn, Zweifel: Ich soll erziehen? Ich bin doch im Herzen selbst noch ein Kind. Ich soll Regeln verordnen? Ich hasse Regeln. Man kann doch nicht den ganzen Tag lang nur Süßigkeiten essen, sage ich den Kindern. Doch, kann man, sagen sie. „Aber dann wird einem schlecht.“ „Echt? Woher willst du das wissen? Hast du es je ausprobiert?“ Nein, gebe ich zu, habe ich nie.

Die Wikipedia definiert: „Der Dadaismus stellte die gesamte bisherige Kunst in Frage, indem er ihre Abstraktion und Schönheit durch z. B. satirische Überspitzung zu reinen Unsinnsansammlungen machte.“ Meine Kinder sind in diesem Sinne Dadaisten, sie machen aus meinen Sätzen seit Jahren mit einer kleinen Grimasse „Unsinnsansammlungen“.

Zum 100. Geburtstag des Dada will ich sie einfach nur loben und preisen als Meister des Zweifels und Künstler der Provokation. Zum Abschluss dieser Kolumne noch mal Hugo Ball: „Dada stammt aus dem Lexikon. Es ist furchtbar einfach. Im Franzoesischen bedeutets Steckenpferd. Im Deutschen: Addio, steigt mir bitte den Ruecken runter, auf Wiedersehen ein ander Mal!“ Gute Worte, um mit „Darum“ abzutreten.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen