WOVON DER ANRUFER BEI DÄNISCHEN EINWANDERUNGSBEHÖRDEN ZU VIEL HAT, HABEN SEINE LIEBEN ANDERSWO ZU WENIG. ZUMAL, WENN ASSAD SIE EINGEKESSELT HAT: Telefonminuten & Folterknechte
VOGELFLUGLINIE
von REBECCA CLARE
SANGER
Er braucht keine Sofas, natürlich nicht, keine abgelegten Klamotten, keine gratis Meditationsstunden. Und keine bemutternden Gesten, seien es Datteln, eine Abwaschbürste oder ein freundlicher Frühstücksteller – obgleich seine Unterkunft danach schreit; die mich krankmachen würde, die jeden krankmachen würde. Da muss man gar nicht erst zu Fuß und per Boot und unter unvorstellbaren Bedingungen ... wobei: Warum können die sich nicht mal Klopapier kaufen, sie sind doch zu fünft, da müsste doch wenigstens einer mal dran denken können. Nein, was er braucht, ist: mehr als nur eine Telefonnummer.
„Du bist Nr. 20 in der Schlange“, auch nach 45 Minuten noch Nr. 20, und dann irgendwann, an Position 1 angekommen – gibt es doch nichts Neues, in seinem Fall. Dann legt man auf.
Dabei sitzt seine Frau in Atal fest, wo sie, ganz Facebook ist voll davon, aus Gras Suppe kochen, wo Assad sie eingekesselt hat. Die Freunde bringen ihr und dem Sohn Essen, aus den Bergen, er hat ihre Frauen und Familien damals auch versorgt, als sie ein halbes Jahr im Gefängnis saßen.
Richtig schlimm geht es ihm, glaube ich, aber erst, seit auch das Mobilnetz abgebrochen ist, vorher konnten sie noch jeden Tag telefonieren. – „Ja, bei deinen Eltern waren sie auch, aber deinen Vater konnten sie nicht einziehen, der war zu alt“, wird sie ihm erzählt haben. „Nun waren sie bei meinen Eltern, sie haben meinen Bruder eingezogen. Seine Studienbescheinigung, die ihn vom Wehrdienst freistellt, haben sie in der Luft zerrissen.“ Und so muss ihr Bruder, was er so gar nicht wollte: für den Diktator schießen, auf Freunde, pausenlos und ohne absehbares Ende.
Immerhin: Ein Ende seines eigenen Leids scheint absehbar. „Zeig mir deinen Brief noch mal“, sagt die Frau vom Roten Kreuz. „Hier steht es: Sie rechnen damit, Ende Januar den endgültigen Bescheid für deine Frau zu haben und damit ihre Ausreise zu ermöglichen. Wenn du Mitte Februar noch nichts gehört hast, rufen wir noch mal an.“
Dass die Wartezeit nicht mit unausgesprochenen Einwänden zu tun hat oder mit dem Fehlen Goldener Handschläge, hätte ich ihm noch erklären sollen – nur mit zunehmendem Rassismus und Resignation im System. Ich kann in seinen Augen sehen, dass er am liebsten selbst die 4.350 Kilometer zurücklegen würde, zum zweiten Mal, und sie holen. Vor allem jetzt, seit dort auch noch dieser Daesh herumbütschert. Keiner kann mehr das Haus verlassen, die Nachrichten werden von Nachbar zu Nachbar getragen, bis zu dem Nachbarn mit der illegalen Telefonschüssel am Haus. Dann ruft man seine Schwester in Saudi-Arabien an, die wiederum ihn anruft, in Dänemark: „Ihr geht es gut.“ Alle 15 Tage macht sie sich selbst auf den Weg, für zwei Minuten mit der Telefonschüssel.
„Nr. 20 in der Warteschlaufe, du er nummer tyve i køen.“ Ja, auch ich denke, am besten macht er sich gleich selbst auf den Weg. Rastlos und barfuß sitzt er im sofakissenlosen Sofa. Rastlos und barfuß rasen seine Gedanken beim Wohltätigkeitspingpong im Bingosaal. „Hätte ich in Syrien bleiben sollen? Wäre ich im Gefängnis oder tot, so wüsste sie, dass ich alles für sie getan habe.“
Dabei hat er alles für sie getan: Er hat Anträge gestellt und Möglichkeiten gesucht. Libanon oder die Türkei wollten sie nicht nehmen. Er und sein Sohn waren willkommen, aber sie war es nicht, als staatenlose Palästinenserin. Er ist nach Dänemark gereist und hat telefoniert. Dass das in diesem Land schon alles Mögliche darstellen soll, kann er, verständlich, nicht glauben.
Für die nächsten Wochen und Monate wird Dänemark sein Gefängnis sein. Er sich selbst zum Gefängnis werden. Das mangelnde Telefonnetz ein Folterinstrument, und wir die Folterknechte: die Guten – „spiel ne Runde Schach mit mir“ –, und die Schlechten –„Familienzusammenführung erst nach drei Jahren“ gleichermaßen.
Und wenn, so Gott will, seine Frau und sein Sohn irgendwann bei ihm sind, in zwei, oder drei, oder vier Monaten, so werden wir hier die Folter vorangetrieben haben und den Tod, den drei Jahre Warten in Kriegsgebieten nun mal mit sich bringen, gleichgültig – und mit viel wortreichem Getue.
Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht 14-täglich an dieser Stelle. Einen Band mit „Hamburger Szenen“ aus der taz hat der Verlag Michason & May veröffentlicht.
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