: Kunst auf Montage
Alternative Ansichten des Kölner Problemviertels: Aus Ton und Bild mischt Marc Behrens neue Mülheimer Originale
Zweideutiges Gestöhn, wie durch ein Abflussrohr gegurgelt, erfüllt den Raum. Dann wieder Unerkennbares, als hätte man eine CD mit einer Drahtbürste bearbeitet und in ein Abspielgerät gelegt. Dazu flackernde Bilder. War das nicht eine Szene aus dem Kinohit „Matrix“? Ein Abrissbagger macht seinen Job in lila-blauen Staubwolken.
Kein Science-Fiction wird hier gespielt. Alle Ton- und Bildquellen stammen aus dem Kölner Stadtteil Mülheim. Zusammengequirlt, digital bearbeitet, im wahren Wortsinn komponiert vom Klangkünstler Marc Behrens. Die Installation „entity Mülheim“ kommt mit zwei Monitoren und vier Lautsprechern aus. Im kargen Raum des Kulturbunkers ist sonst nichts anderes aufgebaut. Die Bildschirme stehen sich gegenüber, treten zuweilen in einen Dialog. Zwei Durchschnittsmülheimer unterhalten sich. Der statistisch ermittelte Durchschnittsmann des Problemstadtteils ist Rentner. Rotbäckig lächelt er in die Kamera. Aber auch andere Blicke, angstvolle, verzweifelte, wütende, flackern auf. Seine Stimme ist Robotergeknarze. Gegenüber, auf der anderen Mattscheibe, spricht die Durchschnittsmülheimerin. Die etwa 35-jährige Türkin hört sich an wie ein betrunkener Teletubbie. Auch hier: Wimperngeklimper, geschürzte Lippen, Kopfschütteln, das Porträt als Montage.
Der Stadtteil bewegt sich. Auf der Mülheimer Brücke zappeln die Sattelschlepper hin und her. Zu der Choreographie des Schwerlastverkehrs serviert Behrens synthetisches Geräusch. Das klingt wie das Bremsen von Güterzügen. Plötzlich spielt jemand an einer Garderobenstange Xylophon. Die Klangstäbe sind Kleiderbügel aus Plastik. Der Bild verdoppelt sich, verschwimmt. Das Triviale bläht sich zum Rauschhaften. Der einzige Ruhepunkt nach all den Szenen ist der Jüdische Friedhof. Das Oszillieren zwischen leuchtend grünen Blättern und den Schatten der dunklen Grabsteine lässt erahnen, dass hinter dem elektronischen Gezappel noch etwas anderes wartet.
Aber was? Etwas sozialromantisch muss eingewandt werden, dass die Menschen über all der Verfremdung Objekte bleiben, die Installation auf Distanz bleibt statt neue Nähe schafft. Behrens kommt aus Frankfurt zu Besuch nach Köln-Mülheim. Ein Sinn für Ästhetik hat er. Aber kann er die Türkin und den Rentner mit seiner Installation berühren?
Mülheim ist keine Schicki-Micki-Meile. Der Stadtteil war so weit unten, dass er in das Programm „Soziale Stadt“ aufgenommen wurde. Bund, Land und Stadt pumpen inzwischen viel Geld in den Vorort. Nicht nur, um ein paar Bäume zu pflanzen und Spielplätze einzurichten, sondern auch, um Kultur zu fördern. So wurde auch dieses Projekt gefördert. Tatsächlich erscheint das chancenlose, trostlose Mülheim durch die Installation spannend wie in einem Gangsta-Rap-Video-Clip. Wenn nun tatsächlich auf Grund der Ausstellung Kids vom Kölner Eastend die visuellen und auditiven Möglichkeiten entdecken würden, die in ihrem Stadtteil schlummern? Dann wären die dann folgenden Bilder und Klänge vielleicht wirklich so explosiv, dass man sie nur in einem Bunker zeigen könnte. LUTZ DEBUS
„entity Mülheim“ von Marc BehrensKulturbunker Mülheim, Kölnbis 6. November
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