piwik no script img

Rotenburger Notruf„Gefährdet Menschen“

Wegen der erhöhten Krebsrate in der Region schreiben mehr als 200 Ärzte einen Brandbrief an Niedersachsens Gesundheits­ministerin Cornelia Rundt (SPD). Was zu der Häufung der Krankheitsfälle führt, ist unbekannt.

Ursache dafür, dass sich in Rotenburg (Wümme) die Krankheitsfälle häufen? Bohrfeld für die Erdgasförderung in Bötersen. Foto: Ingo Wagner/dpa

ROTENBURG taz |Im Landkreis Rotenburg (Wümme) haben 212 Ärzte einen gemeinsamen Notruf abgesetzt: In einem offenen Brief an die niedersächsische Gesundheitsministerin Cornelia Rundt (SPD) fordern die Mediziner, dass die erhöhte Krebsrate in der Region wissenschaftlich untersucht wird. „Dafür braucht es zusätzliches Personal und finanzielle Mittel“, fordert Paul Matthias Bantz, Betriebsarzt am Diakonieklinikum Rotenburg und Umweltmediziner. Die Ministerin habe ein Gespräch mit den Ärzten trotz mehrfacher Bitten abgelehnt.

Seit 2014 ist bekannt, dass überdurchschnittlich viele Männer zwischen 60 und 74 Jahren in der Samtgemeinde Bothel an Blutkrebs erkranken – insbesondere an speziellen Formen der Leukämie- und Lymphomerkrankungen. Bei Frauen sind die Erhöhungen statistisch nicht signifikant. Es könnte sich also um Zufall handeln. Das Epidemiologische Krebsregister Niedersachsen (EKN) ermittelte im Zeitraum zwischen 2003 und 2012 aber beinahe eine Verdoppelung der Krebserkrankungen bei älteren Männern. Statt der erwartbaren 21 Fälle erkrankten 41 Patienten an Krebs.

Der Landkreis Rotenburg gab daraufhin beim EKN eine weiterführende Untersuchung der Krebsdaten in der Region in Auftrag. Das Ergebnis: Auch in der Stadt Rotenburg (Wümme) liegt die Krebsrate bei älteren Männern über dem Durchschnitt. Bei rund 55 erwarteten Fällen seien 72 Erkrankungen beobachtet worden – 31 Prozent mehr.

Bis heute ist unklar, warum in und um Rotenburg so viele Männer Krebs bekommen. In der Region gibt es jedoch eine Besonderheit: Im Landkreis wird seit Jahrzehnten Erdgas gefördert – auch mit der umstrittenen Fracking-Methode. Dabei wird mit großem Druck mit Chemikalien und Sand versetztes Wasser in tiefe Erdschichten gepresst, um Gestein herauszubrechen und den Weg für das Gas frei zu machen. Kritiker und Umweltschützer fürchten ein erhöhtes Erdbebenrisiko oder die Verunreinigung des Trinkwassers.

„Da könnte ein Zusammenhang sein“, sagt Mediziner Bantz über die Krebsfälle. Das Land Niedersachsen und der Landkreis müssten nun dringend mehr Geld in die Ursachenforschung stecken. „Die Menschen sind verunsichert“, sagt Bantz.

Die Suche nach Gründen für die vielen Erkrankungen betreibt das Gesundheitsamt des Landkreises bisher allein. Dazu hat die Behörde rund 7.000 Fragebögen an die Einwohner der Samtgemeinde Bothel geschickt – und bereits mehr als 5.000 Schreiben zurückbekommen. Die Antworten sollen Aufschluss über die Lebensgewohnheiten, den Wohnort und den Arbeitsplatz der Menschen mit und ohne Erkrankung geben. „Wir sind noch bei der Auswertung“, sagt Christine Huchzermeier, die Sprecherin des Landkreises Rotenburg. Zu der Frage, ob dem Kreis dazu genügend Mittel zur Verfügung stehen, wollte sie sich nicht äußern.

Auch das Gesundheitsministerium hält sich bei zusätzlichem Geld bedeckt. Die Zuständigkeit liege beim Landkreis, teilte Ministeriumssprecher Uwe Hildebrandt mit. Zudem unterstütze das Land die Aufklärung durch das EKN und das Landesgesundheitsamt. Mit den 212 besorgten Ärzten aus der Region will sich Ministerin Rundt aber tatsächlich nicht treffen. Den Medizinern werde geraten, sich in die Diskussion vor Ort einzubringen, sagte Sprecher Hildebrandt. Da habe es bereits diverse Informationsveranstaltungen gegeben. „Das ist effektiver, als Gespräche in Hannover zu führen.“

Es wirke, als wolle die Ministerin das Thema aussitzen, kritisiert der Kinderarzt Christoph Dembowski aus Rotenburg, einer der Unterzeichner des offenen Briefes. „Das Gesundheitsamt kann eine solche Untersuchung nicht nebenher stemmen.“ Werde nicht intensiv nach dem Grund für den Krebs gesucht, sagt Dembowski, „gefährdet das die Menschen in der Region“.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 /