Kneipenplaudereien im Hackbarth's, Lemmy im Stream und ein glitzerndes Konzert im Roten Salon: Burger, Bier und Beerdigung
Ausgehen und Rumstehen
von
Jens Uthoff
„Etwas mehr Schwarz-Weiß wäre gut“, sagt K. „Es ist schon wieder alles so verworren und kompliziert.“ Sie fuchtelt mit den Händen vor ihrem Gesicht herum, um die Wirren und das Chaos zu veranschaulichen. K. und ich sitzen am Samstagabend im Hackbarth’s, einer stilvollen Kneipe in Mitte, jeweils ein Bier vor uns. Wir reden über Köln und über Silvester und über die Beschissenheit der Dinge. Es muss sich wie ein lauter Seufzer anhören, mit dem wir uns etwas Luft machen.
K. und ich haben uns lange nicht gesehen, wir haben uns einiges zu erzählen. Sie erzählt von Weihnachten mit Mutter und Schwester in England – wo sie herstammt –, ich von Weihnachten in Berlin. Sie redet von Silvester mit ihrer Teenie-Tochter, ich davon, wie ich mir die Grippe zum Jahreswechsel wegtrank. Der Abend zieht sich dann mit ein bisschen Plauderei über die Berliner Kulturszene dahin, ehe sie irgendwann fragt: „Und wieso musst du jetzt um halb zwölf gehen? Was war da mit Lemmys Beerdigung?“ – „Ich wollte mir die angucken“, sage ich. „Die wird im Stream übertragen.“ Eigentlich wollte ich die Trauerfeier für die verstorbene Motörhead-Ikone zu Hause gucken, dann aber finden wir heraus, dass sie im White Trash übertragen wird. K. will nicht mehr mitkommen, ich aber fahre noch angetrunken über glatte Straßen Richtung Treptow.
Public Viewing einer Beerdigung ist schon ein bisschen komisch, aber Lemmy und das White Trash, das geht ganz gut zusammen. In dem großräumigen Rock-’n’-Roll-mäßig eingerichteten Restaurant mit angeschlossenem Tattoostudio (wo noch gearbeitet wird) sitzen die Leute bei Burger und Bier, als der Livestream aus Los Angeles losgeht. Ich bestelle mir einen Whisky. Als der Stream startet, sieht man auf der Leinwand über der Bühne eine helle Kapelle mit vielen Blumen, einem fetten Eisernen Kreuz über dem Sarg, Bandfotos davor und einer Marshall-Verstärkerwand daneben. Man sieht, wie sich der Raum langsam füllt. Viele Menschen mit schwarzen Hüten. Lemmys Sohn Paul Inder – auch er mit schwarzem Piratenhut – hält als Erstes eine Rede. Er erzählt von seinem Vater als „Stage Warrior“, von den Witzen, die er mit seinem Dad gerissen hat, sagt, er sei der „loyalste Mann, den wir kannten“, gewesen. Eine schöne Rede, bewegend, ich sitze da und halte auch ein bisschen inne. Es sind Worte, die den Menschen Lemmy wirklich würdigen. Nacheinander treten dann noch die Musikerkollegen Slash, Dave Grohl, Lars Ulrich und einige weitere vor das Pult. Die Reden sind alle schön, zum Teil lustig; bei Dave Grohl, der von seiner ersten Begegnung mit Lemmy berichtet, bricht allerdings der Stream ab, als er gerade zur Pointe kommt. Grohl ist der letzte Redner. Am Ende stellen sie eine Gitarre vor den Verstärker und lassen sie dröhnen. Ich proste Lemmy beziehungsweise der Leinwand noch zu, dann haue ich ab.
Am Sonntagabend gibt’s ein Releasekonzert zum neuen Album der Berliner Musikerin Mary Ocher im Roten Salon („Mary Ocher And Your Government“). Es ist gut gefüllt, viel Glitzer, viele gut gekleidete Leute. Mary Ocher ist eine Erscheinung, man erkennt sie an ihren wasserstoffblonden Haaren und an ihrer großen, dicken Brille – und, wenn sie die Bühne betritt, an ihrer Kostümierung: Sie trägt eine silberne Krone, dazu ein ebenfalls silbernes Oberteil, das einen fast an eine Ritterrüstung erinnert. Ocher singt mit extrem hoher Stimme, spielt Orgel, Gitarre und Elektronisches dazu. Sie hat zwei Schlagzeuger dabei, die sehr gekonnt und abgestimmt die gleichen Beats spielen. So wird der Freak-Folk Ochers schön funky und tanzbar – ein wahrlich guter Ausklang dieses Wochenendes.
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