Ku‘dammdes Nordens

KIEZKINO Martin Helmbrechts filmische Dokuserie „Müller Ecke Afrika“ erzählt vom Wiedererwachen des Wedding

Robert Stöwhase (2. v. r.) hat das drei Dekaden überspannende Erbe von „Roy Dunn’s Westernstore“ mittlerweile übernommen Foto: Martin Helmbrecht

von Carolin Weidner

Israel Kaunatjike und Mnyaka Sururu Mboro queren einige Straßen im Bezirk Wedding. Robert „Rob“ Stöwhase steht mit seiner Fluppe vor „Roy Dunn’s Westernstore“ auf der Kameruner Straße, dessen Geschäftsführer er ist. Und Bakri Maslamni nimmt ein paar Handwerker in Blick, die gerade die Fenster seines ersten eigenen Lokals „Flop“ auswechseln. Alltag rund um die Müllerstraße.

Martin Helmbrecht hat das Wiedererwachen des Wedding vor einigen Jahren erspürt und zur Kamera gegriffen. Vier Episoden sind seitdem entstanden, verteilt auf zwei Staffeln. Kommenden Montag, am 18. 11., präsentiert Helmbrecht die bisher fertig editierten Geschichten der filmischen Dokuserie „Müller Ecke Afrika“, welche sich auf eine Länge von je etwa zwanzig Minuten belaufen. Vorführungsstätte: das Lichtblick-Kino auf der Kastanienallee. Sie alle konzentrieren sich auf die eher unscheinbaren Nebenarme der Müllerstraße, dem einstigen „Ku’damm des Nordens“. Dem Ort, der vor der Wende noch einige schöne Läden zu bieten hatte (Rob Stöwhase berichtet), bis nach Mauerfall und mit Wegzug vieler Mittelständler Richtung Osten oder Speckgürtel die finanzielle Kraft aus dem Bezirk schwand. Helmbrechts Langzeit-Dokuserie hat sich der innerlichen Erneuerung jener Straßen und ihrer Bewohnerschaft verschrieben. Dabei geht es weniger um ein monetäres Erstarken als um Mut und Aufbruchwillen der Porträtierten und ihre emotionale Bindung zum Kiez.

Da ist eben zum Beispiel dieser Stöwhase Junior, der die biografische Linie seines Vater, seines „älteren Herren“, nachzeichnet. Dessen Leidenschaft für „Tom Mix“-Wildwest-Romane führte jenen einst nach Amerika, bis, wieder zurück in Berlin, die Realisierung des Traums in Form von „Roy Dunn’s Westernstore“ folgte. Robert Stöw­hase hat das drei Dekaden überspannende Erbe mittlerweile übernommen. Und Helm­brechts Auftaktepisode zeigt Männer, die ihre in Plastikbeutel gehüllten Füße in reich verzierte und sicher sehr feste Lederboots stecken; Biker, die den Cowboy in sich spüren. Es ist kein ganz uninteressanter Kontrast, schaut man anschließend gleich Folge Nummer zwei mit Israel Kaunatjike und Mnyaka Sururu Mboro. Beide erinnern mit Verweis auf die Straßennamen des Afrikanischen Viertels an ein anderes Erbe, nämlich das koloniale.

Es geht wenigerum ein monetäres Erstarken als um Mut und Aufbruchwillen

Mboro erwähnt den „Hänge-Peters“ Carl Peters, der als Begründer der Kolonie Deutsch-Afrika gilt und nach dem die Weddinger Petersallee benannt wurde. Und für Israel Kaunatjike ist vor allem an die Swakopmunder Straße Schauerliches geknüpft. Aus der Stadt Swakopmund in Namibia wurden nach dem Genozid am Anfang des 19. Jahrhunderts Herero-Schädel an das Pathologische Institut zu Berlin geschickt, um sie pseudowissenschaftlichen Untersuchungen zu unterziehen. Oder die Usambarastraße, welche erst zu Zeiten des Nationalsozialismus ihren Namen erhielt. Später als die meisten anderen Straße des Afrikanischen Viertels. Ihre Betitelung ist nämlich eng mit einem stadtplanerischen Vorhaben verwoben, das noch vor dem Ersten Weltkrieg in die Tat umgesetzt werden sollte: Carl Hagenbeck gedachte, im Volkspark Rehberge eine Art ständige Tierpark-ähnliche Schau von Menschen und Tieren aus den deutschen Kolonien in Afrika zu präsentieren. Israel Kaunatjike, den die Episode als „Herero-Akivist“ vorstellt, sagt: „Versöhnung ist okay, aber Vergessen niemals.“

Eine sehr andere Qualität bringt Bakri Maslmani in die Staffel, den Helmbrecht unter anderem beim Spielen auf seinem Saiteninstrument Kanoun präsentiert. Sinnliche, melancholische Musik ist zu hören, ein völlig in sich versunkener Maslmani zu sehen. Ihr gibt er in seiner Musikbar „Flop“ auf der Lüderitzstraße (benannt nach Adolf Lüderitz, auch er keine unwesentliche Personalie des deutschen Kolonialismus) eine Bedachung. Ein optimistischerer Ansatz, der sich auch in der zweiten Staffel fortsetzen wird. In ihr möchte Martin Helmbrecht unter anderem eine Folge über die Betreiberinnen des neu gegründeten Programmkinos City Kino Wedding auf der Müllerstraße verankern – genauso wie Kuriosa aus dem Cineplex Alhambra. Im Lichtblick-Kino wird diese Folge noch nicht zu sehen sein. Aber vielleicht bald?

Müller Ecke Afrika: 18. Januar, 20.30 Uhr, Lichtblick Kino