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Um das Hamburger Selbstwertgefühl steht es nicht zum Besten. Was da hilft, ist ein Museumsbesuch in GüterslohBig in Ostwestfalen

Foto: privat

AM RAND

Klaus Irler

Es ist die Zeit der Neujahrsempfänge: Parteien, Medien, Handelskammer – überall treffen sich wichtige Leute und halten Reden zur Zukunft der Stadt. In den Neujahrsreden wird in der Regel eine Aufbruchstimmung beschworen, deren Grundlage eine Angst ist: die Angst, dass Hamburg den Anschluss verliert im Wettlauf der Städte.

Die Defizite sind ja auch schnell benannt: Hamburg hatte in den letzten Jahren keine Oper von Bedeutung, der Hafen kackt ab gegenüber Rotterdam und Antwerpen, die jungen Künstler gehen nach Berlin, Olympia findet anderswo statt und der HSV muss froh sein, wenn er nicht absteigt. Ferner ist es mit der Elbphilharmonie ein ewiges Gewürge und die Reeperbahn ist zwar weltberühmt, aber auch jedes Wochenende fest in der Hand von Pinnebergern. Dicke Einfamilienhäuser mit Hamburg-Flagge im Garten stehen allenfalls am bürgerlichen Stadtrand, in Niendorf etwa.

Die Hamburger mögen ihre Stadt schlecht finden, andernorts aber steht sie glänzend da. Das merkte ich, als ich kürzlich in Gütersloh war: Gütersloh ist eine Stadt in Ostwestfalen, die neben Bielefeld liegt – jenem Bielefeld, von dem einige sagen, das gäbe es gar nicht. Gütersloh aber gibt es. Die Stadt wirkt wie einziges Gewerbegebiet, aber sie hat ein Stadtmuseum und das habe ich besucht.

Im Gütersloher Stadtmuseum dreht sich derzeit viel um die Hamburger Oliver Schaffer und Carl Hagenbeck. Schaffer ist 36 Jahre alt und sammelt Playmobil seit seinem dritten Geburtstag – mittlerweile hat er rund 100.000 Teile. Mit denen baut er Zirkusse nach: Schaffer hat einen Wild-West-Zirkus, einen Delphin-Zirkus, einen Circus-Maximus, einen Las Vegas-Zirkus, einen afrikanischen Zirkus und so weiter. Alle sind sie im Gütersloher Stadtmuseum aufgebaut als Teil einer Ausstellung, die sich mit Zirkusgeschichte befasst.

Neben den Zirkussen zeichnen Plakate die Entwicklung des europäischen Zirkus nach. Auf der Tafel „Dressuren exotischer Tiere“ stößt man auf Carl Hagenbeck: Er sei um 1870 der erste Tierhändler gewesen, der die Dressur von Zirkustieren nicht durch Bestrafung, sondern durch „geduldige Beobachtung ihrer natürlichen Fähigkeiten und durch Belohnungen“ durchgeführt habe. Tierfreund und erfolgreicher Unternehmer zugleich: Das ist Carl Hagenbeck.

Nach dem Besuch des Museums las ich an der Kasse eines Drogeriemarkts in einem Kundenmagazin: „Hamburg hat offiziell ‚Niederdeutsch‘ an Schulen eingeführt.“ Genauer besehen ging es zwar nur um ein Pilotprojekt an einer einzigen Grundschule, aber was hängen bleibt, sind die Titelseite („Rap auf Plattdeutsch“) und die Überschrift („Neues Hoch fürs Platt“).

Ein Playmobil-Sammler, ein tierfreundlicher Tierhändler und Platt an der Schule: In Gütersloh ist Hamburg eine große Nummer. Mag sein, dass Hamburg nicht Berlin, Barcelona oder München ist. Aber der afrikanische Playmobil-Zirkus ist echt stark.

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