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Flüchtlingshelfer kommen "on top"

EHRENAMT Mehr als ein Drittel der Bundesbürger engagiert sich in ihrer Freizeit unentgeltlich. Eine Messe informiert über das breite Spektrum der Freiwilligenarbeit

Das freiwillige Engagement vieler Bürger ist gerade in den letzten Monaten durch die Flüchtlingshilfe in den Fokus gerückt und für alle sichtbar geworden. Dieses Thema werde sich natürlich auch auf ihrer Börse widerspiegeln, sagt Jenny Fabig, eine von drei SprecherInnen des Aktivoli-Landesnetzwerkes, das in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege Hamburg die Börse organisiert: „Es werden Migrantenorganisationen vor Ort sein und spezielle Projekte und Angebote zum Thema Flüchtlingshilfe vorstellen.“

Doch die Palette der gut 160 Aussteller ist weit größer. Neben den großen Wohlfahrtsverbänden und kirchlichen Organisationen werden Vereine vertreten sein, die sich für Kinder, alte Menschen, Kranke oder Menschen mit Behinderung einsetzen, bis hin zu den Freunden des Wanderns oder des Dampfschiffs Schaarhörn.

Dass die aktuelle Flüchtlingshilfe überhand gewinnt und engagierte Menschen aus anderen Bereichen abzieht, glaubt Fabig nicht: „Ich halte das für ein Gerücht.“ Die Menschen, die sich nun in der Flüchtlingshilfe engagieren würden, seien eine andere Klientel und kämen „eher on top“, sagt die 43-Jährige, die hauptamtlich bei der Arbeiterwohlfahrt arbeitet.

Genauso sieht das auch Carolin Goydke, Leiterin des Freiwilligen-Zentrums der Caritas. Ihre Mail-Anfragen von Bürgern, die sich engagieren wollen, hätten sich 2015 im Vergleich zum Vorjahr mehr als vervierfacht: „Viele fragen speziell nach der Flüchtlingshilfe.“ Da würde sie auch mal sagen: „Geht in die Hausaufgabenhilfe, da werden auch Flüchtlingskinder auftauchen, geht in die Obdachlosenhilfe, da sind viele Menschen, die mit großen Hoffnungen zu uns gekommen und nun gestrandet sind.“

Freiwilliges Engagement für das Gemeinwesen hat eine lange Tradition und war in Gesellschaften auch immer eine Möglichkeit der Mitgestaltung. Das ist dann auch das Hauptmotiv der meisten, die sich unentgeltlich engagieren. Dicht gefolgt von dem Wunsch mit anderen Menschen zusammenzukommen. Das ist das Ergebnis eines Freiwilligensurveys aus dem Jahre 2009, das das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegeben hatte. Demnach engagieren sich 36 Prozent der Deutschen freiwillig. Die meisten im Sport, gefolgt von Kindergarten und Schule sowie dem kirchlichen Bereich. Lediglich 5,2 Prozent der Deutschen engagieren sich im sozialen Bereich und nur 2,7 Prozent in der Politik.

So löblich das Engagement der Freiwilligen auch sein mag, es stößt auch auf kritische Töne. So steht der Vorwurf im Raum, die Freiwilligen würden reguläre Arbeitsplätze vernichten und Lücken füllen, für die eigentlich der Staat zuständig sei.

Diese Vorwürfe kann Jenny Fabig von Aktivoli nicht nachvollziehen – im Gegenteil. Zwar findet auch sie, der „Staat versäumt einiges“. So könne es zum Beispiel eigentlich nicht sein, „dass die Bürger das Shampoo für Flüchtlinge kaufen“. Aber durch das Engagement von Freiwilligen würde oft auch reguläre Arbeit entstehen, zum Beispiel im Bereich der Fortbildung. Grundsätzlich sei „freiwillige Arbeit immer zusätzliche Arbeit“ und strikt von professioneller Arbeit zu trennen.

Auch hier stimmt Carolin Goydke zu: „Auch die professionelle Altenpflege ist im Ursprung aus einem Ehrenamt entstanden.“ Die Zivilgesellschaft entdecke oft die Lücken zuerst, und der Staat übernehme dann später. So würden dann irgendwann aus ehrenamtlicher Arbeit reguläre Arbeitsplätze entstehen.

Freiwilligen brauchen Profis

Sie achte bei der Vermittlung von Freiwilligen sehr darauf, dass eine Stelle nicht vorher von einer bezahlten Kraft ausgefüllt worden sei – nach dem Motto: „Unser Ein-Euro-Jobber ist weg, dann nehme ich nun einen Freiwilligen.“

Auch vermittle sie ausschließlich an Einrichtungen mit professionellen Hauptamtlichen, „damit die Freiwilligen auch aufgefangen werden“, sagt die studierte Pflegemanagerin. Das schütze vor Burnout. Manche müssten in ihrem Engagement auch mal gebremst werden, da brauche es jemanden, der ein Auge drauf hat und auch mal sagt: „Mensch, geh‘ mal nach Hause.“

Eine gute Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen Mitarbeitern ist auch für Fabig unerlässlich: „Ich wünsche mir mehr hauptamtliche Kräfte, die die Freiwilligen unterstützen und stabilisieren können.“ Dafür müsse der Staat Geld in die Hand nehmen.

Auf der Freiwilligenbörse werden beide für ihre Anliegen werben – und natürlich möglichst viele Freiwillige vermitteln. Niels Holsten

Aktivoli-Freiwilligenbörse, So, 24. Januar, 11 bis 17 Uhr, Börsensaal der Handelskammer, Adolphsplatz 1, Hamburg

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