Die Suche nach außerirdischem Leben: Krümel der Schöpfung
Ein Flug zum Mars muss sein. Nicht um eine zweite Erde zu schaffen. Sondern um die erste zu retten. Die Idee sollte zum Projekt der Weltgemeinschaft werden.
Die alles entscheidende Frage ist doch, ob wir allein sind mit dem Ich in unseren Köpfen. Das zu klären ist die wissenschaftliche Frage des 21. Jahrhunderts. Ist der Mensch, sein Freuen, Trauern, sein Erschrecken und seine Faszination über die eigene Nase oder Farbe auf Leinwänden nur eines von vielen Wesen, das ein komplexes Bewusstsein empfindet?
Angenommen, vom Nachbarstern funkt uns eine andere Zivilisation an und fragt, was wir über Mathematik und Liebe denken und was unser Lieblingsessen ist. Oder wir verstünden Wale oder Affen und die würden sagen: Wir sind nicht primitiver als ihr, wir haben uns nur schon längst aufs Grübeln über die eigene Existenz verlegt.
Zwei Momente, die dem Mensch das letzte Gefühl der Einmaligkeit nehmen würden. Ein wahrlich kopernikanischer Moment. Einer, der neue Wahrheiten schafft, hinter die nicht mal die querschädeligsten Religiösen zurückfallen könnten. Vermutlich auch ein Moment, der Demut lehrt. Und allzu weit liegt er nicht weg. Mit ein wenig Glück circa 100 Milliarden Dollar und je nach Stellung zur Erde mindestens 55,6 Millionen Kilometer. Wir müssen, kurzum, auf den Mars.
Die Reise zu dieser These beginnt im Büro von Alessandro Airo, Professor für Sedimentologie am Institut für Geologische Wissenschaften der Freien Universität Berlin. Er trägt eine graue Wollmütze, als käme er gerade vom Fischen, dazu Dreitagebart. Er scheint urtümlich begeistert von Steinen, Mikroben, vom Mars und ist nur schwer vom Studenten im Vorzimmer zu unterscheiden.
Diverse geschliffene, grobe, korallige oder zum Mikroskopieren fein geschnittene Mineralien liegen in den Regalen umher. Airo schnappt sich einen Geschliffenen. Sieht ein wenig aus wie ein gestreifter Marmorkuchen. „Das ist Sandstein, im Prinzip ist das ein versteinerter Strand. Und das hier“, er deutet auf schwarze Streifen in dunkelbraunen Schichten, „das war mal grüner Schleim, vor 3,2 Milliarden Jahren“.
Bis heute fließt Wasser auf dem Mars
Genau genommen, sagt Airo, handelt es sich um eine der ältesten fossilen Spuren von Leben auf der Erde. Mikroben, die sich zum Schutz vor der damals extremen UV-Strahlung in winzigen Hohlräumen im Gestein versteckt haben, bedeckt vom seichten Wasser eines Ur-Ozeans. Sehr viel deutet darauf hin, dass es auf dem Mars damals genauso ausgesehen hat. Ob es dort jemals Leben gab, ist völlig unklar. Dass es flüssiges Wasser gab, gilt als sicher – schließlich findet sich heute noch genug davon in Form von Eis, gebunden im Boden oder fast in Reinform an den Polen.
Eine der erstaunlichsten Entdeckungen 2015 war vermutlich, dass es selbst heute bisweilen noch fließt. Der „Mars Reconnaissance Orbiter“ der Nasa fand deutliche Hinweise darauf, dass an manchen Sommertagen auf dem Mars eine salzige Lauge an Hängen hinabfließt, die auch Wasser enthält.
Obwohl der Planet seit Milliarden Jahren eine staubige, eiskalte Wüste ist, könnte das Leben überdauert haben. Wie wahrscheinlich ist das? Airo: „Es ist absolut möglich.“
Das Hormonmittel Duogynon galt in den sechziger Jahren als Innovation. Dann kam es zu Fehlbildungen an Kindern. Besteht der von Betroffenen vermutete Zusammenhang? Was unsere Autorin in erstmals geöffneten Akten gefunden hat, lesen Sie in der taz. am wochenende vom 9./10. Dezember. Außerdem: Der Astronaut Alexander Gerst erzählt im Gespräch, wie Krieg aus dem Weltall betrachtet wirkt. Und: Der US-Wahlkampf wird auf dem Rücken illegaler Einwanderer ausgetragen. Warum stört das einen konservativen Farmer? Das und mehr gibt es am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Dafür spricht, wo überall es auf der Erde lebt. In schwefeligen Vulkanschloten, kochend heißen Quellen oder tief unter uns. Dass in zwei Kilometern Tiefe Mikroben, Bakterien und Pilze leben, ist seit den 1920ern bekannt. Doch erst seit 2013 ist klar, dass es in der Erdkruste eigene Ökosysteme gibt. Mikroben, die sich unendlich langsam vermehren, manche Zellen teilen sich nur alle paar tausend Jahre. Und sie scheinen mit geringsten Energiemengen in seit Jahrmillionen von der Oberfläche isolierten, winzigen Poren im Gesteinen zu überleben.
Und der Mars? „Weniger Hitze im Untergrund, weniger Auflast durch das Gestein wegen der geringeren Gravitation und deshalb größere Porenräume. Man kann gut erwarten, dass es Grundwasser tief unter der Oberfläche gibt, in der Mikroben sehr gern leben. Diese Habitate könnten seit hunderten Millionen Jahren ungestört existieren“, sagt Airo.
Deshalb suchen sie ja alle. Russen und Europäer wollen im Frühjahr dieses Jahres eine Sonde zum Mars schicken, die 2018 einen Rover absetzt, der, nun ja, immerhin zwei Meter tief unter der Erde nach Lebenszeichen suchen kann. Fünf Satelliten, drei der Nasa, einer der ESA und ein indischer, umkreisen derzeit den Planeten, die Nasa-Rover „Opportunity“ und „Curiosity“ kurven auf der Oberfläche umher.
Wenn es zweimal klappt, klappt es millionenfach
Dass sie und künftige Robotermissionen Leben finden werden, selbst wenn es dort noch existiert – alles sehr unwahrscheinlich. Es braucht Menschen vor Ort, ihre Mobilität, ihre Ideen. Um die entscheidende wissenschaftliche Frage des 21. Jahrhunderts zu beantworten: Wie oft entsteht Leben? Außerirdische Mikroben auf dem Mars, die biochemisch anders funktionieren als das Leben bei uns – das wäre eine Entdeckung ähnlich der, dass die Erde rund ist. „Wenn in unserem Sonnensystem das Leben zweimal unabhängig voneinander entstanden sein sollte – dann muss es im Universum davon wimmeln“, sagt Airo.
Der Mensch wäre endgültig nicht Krone, sondern Krümel der Schöpfung. Jedenfalls nicht einmaliger Herr. Wenn sich alsbald weitere Milliarden Menschen auf der Erde tummeln, könnte das Wissen darum der entscheidende Kipppunkt in unseren Köpfen sein, um so bescheiden zu handeln, dass die irdische Biosphäre überlebt. Analog zum Apollo-Programm der Nasa. Es mag aus einem Wettrüsten zweier atomarer Supermächte entstanden sein: Doch das von der Mondfähre „Apollo 17“ aufgenommene Bild des zerbrechlichen blauen Planeten vor unendlichem Schwarz ist ikonografisch für das 20. Jahrhundert und die Erkenntnis, dass wir dabei sind, uns selbst zu zerstören.
Nun stelle man sich Astronauten vor, die durch eine unendliche, rote Wüste laufen – auf einem Planeten, der einst lebte. Kleiner kann einen Fortschritt nicht mehr machen.
Jetzt kommen die Gegenargumente. Die Kosten? Mindestens 100 Milliarden Dollar, schätzt die Nasa; frühestens in 35 Jahren geht’s los, die ESA. So viel Geld für ein paar Alien-Mikroben und heroische Wüstenbilder? Haben wir nicht genug irdische Probleme, warum Geld in so einen Mars-Quatsch stecken?
Gründen wir eine globale Space-Genossenschaft!
Die Frage ist doch, ob mit einem Verzicht auf Wissenschaft auch nur ein irdisches Problem gelöst wird. Die Welt ist kein Krämerladen, in dem etwas fehlt, wenn jemand Teile für eine Marsrakete kauft. Die Herausforderung des 21. Jahrhundert ist, wie die Menschheit jenseits nationaler Egoismen, wirtschaftlicher Gier und Naturzerstörung einen neuen Ordnungsrahmen entwickelt, der das Vorhandene besser verteilt. Dafür braucht es, neben einem Bewusstsein der eigenen Schwäche und Endlichkeit, praktische Übung. Ein Flug zum Mars wäre also kein Selbstzweck, er muss unter den richtigen Bedingungen stattfinden. Nicht als Wettbewerb, sondern als Projekt einer Weltgemeinschaft.
Denkbar wäre eine Art globale Space-Genossenschaft. Gleiches Recht für alle, jenseits des Geldbeutels. Der erste Mensch auf dem Mars ist eine Frau aus Somalia, Tuvalu oder Bhutan. Die Technik, die entwickelt wird, ist Open Source, keine Patente. Vorbilder gibt es: die Internationale Raumstation ISS, das Kernforschungszentrum Cern.
Möglicherweise gibt es Marsmissionen mit erstaunlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen auch in billiger. Wer weiß, was Roboter in einigen Jahrzehnten alles können. Vielleicht pickelt sich aus Kostengründen nicht ein Mensch, sondern ein Android in den Marsboden, findet ein paar lebende Bakterien und denkt sich in dem Moment: Wer hat’s entdeckt? Heilige Scheiße: ICH hab’s entdeckt. ICH.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS