Ökonom: „Die Rente armutsfest machen“

Sozialbeirat Die Riesterrente sollte nicht mehr mit der Grundsicherung im Alter voll verrechnet werden

Gegen Altersarmut: arbeiten, solange es noch geht Foto: Jan Woitas/dpa

taz: Herr Wagner, mir wird mulmig, wenn ich meinen Rentenbescheid lese. Für die Sicherung des Lebensstandards reicht die Zahl, die dort steht, nicht. Gilt das später für viele Rentner?

Gert G. Wagner: Das trifft für etliche Journalisten zu, besonders die freiberuflichen und die, die zu lange bei der taz zu Armutslöhnen gearbeitet haben, aber nicht für die Mehrheit der künftigen Rentner.

Die Bundesregierung hat in ihrem neuen Rentenversicherungsbericht berechnet, wie sich die Altersfinanzierung entwickelt. Wird das Rentenniveau weiter sinken?

Ja, das Rentenniveau wird sinken – das ist aber nicht überraschend, sondern steht seit Jahren so im Gesetz. Derzeit erhalten Durchschnittsverdiener etwa die Hälfte ihres Arbeitslohnes als Altersversorgung ausgezahlt. So viel wird es künftig nicht mehr sein. 2030 wird man mit vermutlich knapp 45 Prozent zurechtkommen müssen. Danach allerdings muss das Rentenniveau nur noch wenig abnehmen.

Die Zahl der Beschäftigten wird sinken, die der Rentner steigen. Kommt dieser gegenläufige Prozess nach 2030 zum Stillstand?

Er dürfte sich zumindest abschwächen. Denn bald sind die Angehörigen der geburtenstarken Jahrgänge der 1960er alle im Ruhestand.

Was weiß man über die Entwicklung der Beiträge für die Rentenversicherung?

Heute liegen sie bei 18,7 Prozent des Bruttolohnes – je zur Hälfte finanziert von den Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Sie werden planmäßig steigen auf 22 Prozent – nach 2030 wahrscheinlich noch etwas mehr. Allerdings sind das Schätzungen mit großer Spannweite, wie der Sozialbeirat betont.

Zusammengefasst: Wir werden höhere Beiträge für weniger Rente zahlen?

So wird es kommen, wenn sich im Vergleich zu heute nichts an den Rahmenbedingungen ändert. Wir können die Entwicklung allerdings zum Positiven beeinflussen. Mehr Zuwanderer, die hier arbeiten, stabilisieren die Rentenversicherung. Gelingt es, mehr Kinder bildungsferner Elternhäuser zu qualifizieren, wodurch sie dann höhere Beiträge zahlen, hat das einen ähnlichen Effekt. Und je weniger Frühverrentungen es geben wird, desto besser ist es.

Halten Sie die Strategie weiterhin für richtig, die Bürger aufzufordern, neben der gesetzlichen Rente in private Altersvorsorge wie beispielsweise die Riesterrente zu investieren?

Gert G. Wagner

Foto: DIW

62, leitet den Sozialbeirat, der die Regierung berät. Der Professor ist Vorstandsmitglied des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Für Beschäftigte mit mittleren und höheren Löhnen ist das grundsätzlich eine gute Sache. Man soll ja nicht alle Eier in einen Korb legen. Für Arbeitnehmer mit niedrigen Einkommen sieht es jedoch oft anders aus. Manche haben nichts von der selbst erarbeiteten Riesterrente, weil diese gegenwärtig noch mit der Grundsicherung im Alter voll verrechnet wird. Wir als Sozialbeirat empfehlen deswegen, endlich ernsthaft darüber nachzudenken, wie man die Rente armutsfest machen kann. Dafür gibt es verschiedene Optionen. Eine Variante wäre, dass man von Riester- und Betriebsrenten in jedem Fall einen Teil ausgezahlt bekommt, auch wenn man im Alter Grundsicherung auf Hartz-IV-Niveau erhält.

Gehen Sie davon aus, dass künftig mehr Menschen Renten beziehen, die unter dem Existenzminimum liegen?

Der Bedarf an Grundsicherung wird zunehmen. Unter anderem, weil viele DDR-Beschäftigte, die nach der Wende nur wenig oder gar nicht mehr ­erwerbstätig sein konnten, nun ins Rentenalter kommen. Die Diskussion, wie sich das auffangen lässt, beginnt jetzt ganz konkret.

Interview Hannes Koch