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Bestie hin oder her

Ausstellung Mit ihrer aktuellen Ausstellung erforscht der Württembergische Kunstverein Stuttgart verschiedenen Aspekte der Souveränität

VON Christian Hillengaß

Souveränität ist ein seltsames Wesen. Gerne wird sie als Kraft gepriesen, die den Menschen aus jenem gewalttätigen Naturzustand enthebt, in dem jeder dem anderen ein Wolf ist; die vernunftgeleitete Schöne, Siegerin über die animalischen Kräfte, die mit ihren Gesetzen Ordnung stiftet. Dann wiederum kann sie die Bestie selbst sein, die Rohheit und irrationale Gewalt, die zerstörerisch ihr Unwesen treibt. Der französische Philosoph Jacques Derrida hat dieses Phänomen in ein Wortspiel gepackt, das vor allem auf Französisch gut klingt, weil das „et“ darin sowohl als „und“ als auch als „ist“ verstanden werden kann: „La bête et le souve­rain“. Er überschrieb damit seine letzte Lehrveranstaltung, die er von 2002 bis 2003 gehalten hat.

Mit dem Titel „Die Bestie und ist der Souverän“ übernimmt die aktuelle Ausstellung im Württembergischen Kunstverein Derridas Überschrift und macht die zentralen Denkfiguren seines Seminars zum Programm, indem sie das Sinnbild Souverän und Bestie als Gegensatzpaar von Ordnung und ungebändigten Kräften, von Herrscher und Beherrschten in mehreren Bereichen durchspielt. Vier Felder, auf denen Souveränität ausgetragen wird, werden so eröffnet. Sie strukturieren die Ausstellung und können grob als das Feld der Religion, der Ökonomie, der modernen Institutionen und das der sexuellen Normative umrissen werden.

Anhand der Exponate von rund 30 internationalen Künstlerinnen und Künstlern wird beleuchtet, wie Macht mit künstlerischen Mitteln identifiziert, hinterfragt und – vor allem – dekonstruiert werden kann. Die ganze Schau ist ein Abfolge der künstlerischen Dekonstruktion bisheriger normativer Ordnungen. Alles, von den Geschlechterrollen über ökonomische Strukturen bis hin zu Mensch-Tier-Unterscheidungen wird angezweifelt, zerpflückt, unterwandert, verwechselt und vermischt bis letztendlich nichts mehr auf dem anderen steht.

Wie ein roter Faden zieht sich dabei die Beschäftigung mit Sexualität, Leiblichkeit und Geschlecht durch die Schau: Der Körper als unterworfenes oder dissidentes Subjekt wird als Schauplatz von Souveränitätskonflikten thematisiert. So zum Beispiel durch den iranischen Künstler Ghasem Hajizadeh, der mit seinen Malereien den konservativen Habitus von gängigen Hochzeits- und Familienfotos mit einer queeren Ästhetik unterlegt. Ähnlich der Spanier José Pérez Ocaña, der katholische Heiligendarstellungen als homosexuelle Ikonen vereinnahmt. In der Videoarbeit „Manifest der Pandrogynität“ von Aldo Lee und Genesis Breyer P-Orridge berichtet Letzterer gemeinsam mit Lady Jaye über die operativ und hormonell betriebene Angleichung ihrer beiden Körper hin zu einer pan­dro­gynen, zugleich weiblichen und männlichen Geschlechtsidentität.

An die vereinnahmende Darstellung der Leiblichkeit eines konkreten Souveräns hat sich die Österreicherin Ines Doujak gemacht. Ihre Skulptur „Not Dressed for Conquering“ zeigt einen Schäferhund, der eine bolivianische Aktivistin von hinten besteigt, die wiederum in gleicher Pose über einen nackten, auf SS-Stahlhelmen knienden Mann herfällt.

Die Schau ist eine Abfolge künstlerischer Dekonstruk­tionen normativer Ordnungen

Die Ähnlichkeit des Mannes mit dem spanischen Exkönig Juan Carlos sorgte für einen Skandal, als der Direktor des Museums für zeitgenössische Kunst in Barcelona (MACBA) – die taz berichtete am 27. März, als die Schau dort gezeigt wurde – die Skulptur aus diesem Grund entfernen lassen wollte. Zwar beugte er sich letztendlich den Protestrufen aus der internationalen Kunstszene und ließ die Schau unangetastet, trat jedoch selbst zurück und entließ in letzter Amtshandlung die beiden verantwortlichen Kuratoren des MACBA, Valentín Roma und Paul B. Preciado (Pseudonym der Literaturwissenschaftlerin Beatriz Preciado).

Viel Lärm um ein augenscheinlich recht platt daherkommendes Kunstwerk, das nun in Stuttgart durch eine erweiterte Kontextualisierung verständlicher gemacht werden soll. Ob dies gelingt, darüber kann man ruhig streiten. Fest steht, dass der Skandal plastischer von einem Souveränitätskonflikt erzählt, als manche der gezeigten Werke. Vor allem stellt er die Frage in den Raum, wie viel Einfluss Politik, Elitenbeziehungen und ­Wirtschaft auf das Programm öffentlicher Kunst­institutionen in Europa haben. Ebenso eine andere Frage, die ewig wiederkehrende: Darf Kunst alles? Wie verhält es sich damit, einen Menschen – ob nun Monarch oder nicht – so entwürdigend darzustellen? Eine Frage, die die aufgeklärte Avantgarde zum Tabu erklärt und den Juristen überlassen hat.

In Stuttgart zumindest hat sich niemand beschwert. Wer will, kann sich also vor Doujaks kopulierendem Dreigespann in sämtliche dahinterstehende Ideen und Intentionen der Künstlerin hineindenken, um dem Anblick etwas Erhellendes abzuringen. Allen anderen sei angesichts der Flut solcher und ähnlicher Darstellungen in Welt und Kunst auch einfach mal wieder ein müdes, leicht angeekeltes Gähnen erlaubt.

Bis 17. Januar 2016, Württembergischen Kunstverein, Stuttgart

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