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billig leben mit aly und fichter von WIGLAF DROSTE

Wacker stehen unsere Qualitäts- und Kulturpublizisten auf gegen den Verkauf von Berliner Zeitung und Berliner Kurier an David Montgomery und unterzeichnen eine Peti- und Resolution. Für diese beiden Topbastionen von Pressefreiheit und Aufklärung einzustehen ist eine edle Sache: Einmal flink unterschreiben, und schon ist man Humanist. Warum in diesem Aufruf der Holtzbrinck-Verlag ranschleimig als „respektabel“ bezeichnet werden muss, bleibt indes ein Geheimnis. Dass Montgomery ein Schurke ist, bestreitet bis auf seinen Zwilling Roger Köppel in der Springer-Zeitung Die Welt niemand. Deshalb muss man aber durchschnittlich schlechte deutsche Tageszeitungen und ihre Verleger nicht gleich heilig sprechen.

Angeführt wird die Liste der Zeitungsdemokraten aus alphabetischen Gründen von Götz Aly. Sie erinnern sich? Pünktlich zur Abschaffung des Sozialstaats fand der Berliner Journalist und Hobbyhistoriker Aly heraus, dass der Sozialstaat eine originäre Erfindung der Nationalsozialisten gewesen sei – was dann die Eliminierung der heutigen Sozialstaatsreste zum Akt eines verspäteten Antifaschismus macht. So ist die Welt ganz leicht erklärt: Wer Arbeitslose ins Gesicht tritt, kämpft quasi gegen Adolf Hitler.

Aly ist ein typischer Vertreter seiner Zunft: Von oben nach unten erklären, wie notwendig, richtig und moralisch unverzichtbar Armut für andere ist, und wenn es dann an die eigene Brieftasche geht, hebt das große Flennen an.

Eine ähnliche Form der Vergangenheitsbearbeitung betreibt Tilman Fichter, Referent für Schule und Bildung beim Parteivorstand der SPD in Berlin, wo er, weil er nicht schreiben kann, als Intellektueller gilt. Der heute 68-Jährige war in den Sechzigerjahren eine Schlüsselfigur des Berliner SDS und ringt seit Jahren um ein positives Verhältnis der Deutschen zur Nation. Wer ihm – wie ich – einmal beim öffentlichen Sprechen zugehört hat, weiß, wie aggressiv Schlafpulver sein kann. Gegen den „nihilistischen Verrat der Linken“ tobt Fichter – er möchte auch die letzten Reste von Verstand noch fortgeschleudert wissen und ausnahmslos alle Landsleute durch die „Du bist Deutschland“-Gehirnwaschanlage jagen.

Dass sein Wirtschaftsminister Wolfgang Clement Hartz-IV-Empfänger als „Parasiten“ denunziert, entlockt Fichter kein Widerwort. Den Begriff, der Clement, den gelernten Journalisten, sehr milde umschriebe, hat Fichter für einen alten Intimfeind reserviert und nennt Dieter Kunzelmann einen „Drecksack“. In der gut 35 Jahre alten Privatrechnung darf auch der Posten „Antisemitismus“ nicht fehlen – dabei ist Kunzelmann längst ein erledigter Fall, sein Geschwätz vom „Judenknax“ der Linken ist hinlänglich in die Irrenecke wegsortiert. Dass Fichter nun noch einmal groß damit angelaufen kommt, zeigt ihn als feigen Konjunkturritter, der Antisemitismus vor allem als Problem der Linken darstellt. So ist es brav, so ist es en vogue: Kleine Leute sind Nazis, Linke sind Antisemiten, und wer Deutschland nicht liebt, ist ein Verräter.

Discounter-Intellektuelle wie Götz Aly und Tilman Fichter sind beliebt wie Aldi. Sie haben bloß Plunder im Angebot, aber der ist so schön billig, und der Deutsche spart halt gern.

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