Warten auf den Roman

Kino Godehard Gieses Spielfilmdebüt „Die Geschichte vom Astronauten“ zeigt eine Schriftstellerin bei der Arbeit

Ein Mensch an einem weiten Strand. So winzig, dass er bald nicht zu erkennen ist. Und eine ganze Weile kann man auch nicht sagen, um wen es sich handelt – Kind, Erwachsener? Ein Jemand in weißem Kleid jedenfalls. Fast zwei Minuten nimmt sich „Die Geschichte vom Astronauten“ nun Zeit, dieser Frage nachzugehen. Denn so lange dauert es, bis sich das Geschöpf Richtung Kamera bewegt hat und das Rätsel gelöst wird: Es ist ein Mädchen. Und es macht sich auf den Weg zu einer Frau in rotem Kleid, die auf einem Stein sitzt und aufs Meer starrt.

„Was machst du?“, fragt das Mädchen. „Wartest du auf was?“ Die Antwort kommt nüchtern: „Ja, ich warte auf was.“ Das ist natürlich wenig befriedigend. „Und auf was wartest du? Auf deinen Mann?“ Nein: „Ich warte darauf, dass mir was einfällt.“ So geht es noch ein wenig hin und her. „Die Geschichte vom Astronauten“ macht einen nämlich selbst etwas wartend. Der Film gefällt sich lieber in der Zirkulation als im Vorwärtsschreiten. Beziehungsweise: Das Vorwärtsschreiten vollzieht sich in sehr kleinen Schritten. Und dann taucht man plötzlich doch an völlig anderer Stelle wieder auf.

Diese Freiheit hat sich der Schauspieler Godehard Giese in seinem ersten Spielfilm genommen. Und sie passt gut zur Geschichte dieser Frau im roten Kleid, die Charlotte heißt und von Stephanie Petrowitz gespielt wird. Denn Charlotte ist Schriftstellerin. Und Gieses Film wagt den Versuch, den sehr innerlichen Prozess des Schreibens auf die Bildebene zu hieven.

Charlottes Romanfigur, eine Verlassene, tritt aus der Geschichte und scheint die Körper verschiedener anderer Frauen, die Charlotte im Ferienparadies begegnen, zu erfassen. Oder sind es doch nur Projektionen, Inspirationen? Das ist nicht immer leicht zu entwirren. Und das soll es wohl auch nicht sein.

Hier, am Urlaubsort, kommen die Handlungsstränge zusammen. Charlotte selbst umgibt eine mysteriöse Aura. Man sieht sie an einer Zigarette ziehen oder an ihrem Laptop tippen. Noch öfter allerdings spazieren. Jene Streifzüge führen sie durch sommerliche Landschaften. Hin zu Friedhöfen. Oder eine an Serpentinen reiche Straße entlang. Dann sind es Bauruinen – noch nicht fertiggestellte oder schon wieder im Abriss begriffene Gebäude.

Es sind Bilder eines Dazwischen. Und von Leere. Zustände oder besser – Nichtzustände –, für die sich der Film interessiert. Sie kommen gemeinsam mit einer vielsagenden Klaviermusik. Oder mit ein bisschen Italopop, wenn Charlotte mit Renate (Ruth Diehl), einer älteren, schwelgerischen und nicht minder geheimnisvollen Dame, bei der die Autorin logiert, einen Tanz versucht.

Kameramann Eric Ferranti hat dabei viel Raum für geisterhafte Fahrten. Sie verbinden das sich mehr und mehr Auflösende miteinander, zeigen, wie Gedanken und mögliche Textpassagen ineinandergreifen – oder eben nicht. „Die Geschichte vom Astronauten“ ist ein ambitioniertes Theorem, das sich an keiner Stelle wirklich aus der Deckung traut. Carolin Weidner

„Die Geschichte vom Astronauten“. Regie: Godehard Giese. Mit Stephanie Petrowitz, Ruth Diehl u. a. Deutschland 2014, 81 Min.