Rassismus Im mittelsächsischen Wurzen verletzen 14-Jährige in der Pause zwei Flüchtlingskinder
: Attacke auf Schulhof

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aus Dresden Michael Bartsch

An der Pestalozzi-Oberschule im mittelsächsischen Wurzen sind am Mittwoch Flüchtlingskinder durch deutsche Mitschüler so schwer verletzt worden, dass sie vom Notarzt behandelt werden mussten. Zwei Mädchen im Alter von 9 und 14 Jahren erlitten bei dem Angriff Prellungen, Quetschungen und eine Knochenabsplitterung.

Die Opfer waren zunächst zusammen mit einer Gruppe von mehreren Mädchen auf dem Schulhof verbal attackiert und mit Eicheln, Steinen und Münzen beworfen worden. Als die sie flüchteten, wurden sie von vier Schülern der 7. und 8. Klasse verfolgt. An einer Zimmertür wurden zwei von ihnen eingeklemmt und misshandelt.

Seit mehreren Wochen besuchen diese Flüchtlingskinder eine Klasse, in der „Deutsch als Zweitsprache“, kurz DAZ, unterrichtet wird. Auf dem Schulhof waren sie schon mehrmals von deutschen Mitschülern angegriffen worden. Lehrer und die Schulleitung versuchten daraufhin offenbar bereits in den zurückliegenden Wochen, mit den Eltern der vier aggressiven Schüler zu sprechen. Ein Sprecher der zuständigen Polizeidirektion Leipzig sagte, man habe dies aber als „nicht zielführend“ aufgegeben.

Sachsen gilt als Zentrum rassistischer Angriffe in Deutschland. Nach Angaben von „Mediendienst Integration“ führt das Bundesland 2015 mit Abstand die Liste ausländerfeindlicher Aktionen an. Danach wurden bis Ende November 126 Angriffe auf Asylheime verübt. Bundesweit waren es 459. Die Daten stammen von der Polizei und von Opferberatungen.

In Jahnsdorf bei Chemnitz attackierte am Donnerstagabend eine Menge von bis zu 30 Personen einen Bus mit Flüchtlingen bei der Ankunft in einem Heim. Dabei wurden Steine und Böller geworfen. Der Busfahrer wurde am Fuß verletzt, als ein Böller detonierte. Eine Fensterscheibe des Busses ging zu Bruch. Die Stimmung sei sehr aggressiv gewesen, sagte die Polizei. Die Flüchtlinge, die danach die Unterkunft nicht mehr beziehen wollten, wurden in ein anderes Quartier gebracht.

Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) kündigte ein hartes Vorgehen an: „Wir werden den Verantwortlichen für diesen feigen Gewaltexzess den Prozess machen und sie zur Rechenschaft ziehen.“ Die Polizei hatte in Jahnsdorf die Identität der Beteiligten feststellen können. Sie ermittelt wegen Landfriedensbruch. In Jahnsdorf hatte es schon öfter Proteste gegen Asylbewerber gegeben. Dennoch geht die Gemeinde davon aus, dass die Täter von außen kamen. Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) sagte: „Eine kleine radikale und hochgefährliche Minderheit versetzt das ganze Land in Schrecken.“ (dpa)

Mittelsachsen und insbesondere Wurzen gelten seit den 1990er Jahren als Schwerpunkte rechter Aktivitäten und einer dominanten rechten Jugendszene. Schon vor fünfzehn und mehr Jahren gab es Attacken auf Asylbewerber und Übergriffe des „Jungsturms“.

Sprecher Uwe Voigt von der Polizeidirektion Leipzig will sich zu den laufenden Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung jetzt noch nicht äußern. Auf die Frage, ob sich hier möglicherweise fremdenfeindliche Einstellungen in die zweite Generation fortsetzen, antwortet er aber mit einem knappen „unbestritten“.

Roman Schulz, Sprecher der dem Kultusministerium unterstehenden Bildungsagentur Leipzig, ordnet die Vorfälle in das überall im Land anzutreffende Klima ein. Er bestätigt, dass Kinder „zunehmend mit undemokratischen Ansichten aufkreuzen“. Mitarbeiter der Bildungsagentur haben am Freitag die Wurzener Schule besucht und sich mit der Schulleitung beraten. „Es wird nach Anhörung von Schülern und Eltern auf jeden Fall eine Schulstrafe geben, weil wir entschlossen vorgehen wollen“, sagt Schulz.

Mittelsachsen und Wurzen gelten seit den 1990er Jahren als Schwerpunkte rechter Aktivitäten

Am wichtigsten aber sei es, dass die verängstigten Mädchen nach zwei Tagen Pause wieder die Schule besuchen. Die Schulsozialarbeiterin und die DAZ-Lehrerin werden sie am Montag abholen und begleiten.

Die Wurzener Attacken auf Flüchtlingskinder durch Mitschüler sind die ersten bekannt gewordenen Vorfälle dieser Art. Ansonsten geht das DAZ-Integrationskonzept laut Schulz weitgehend auf. Allein im Gebiet der Leipziger Bildungsagentur lernen im Rahmen des Programms 3.500 ausländische Kinder Deutsch als Zweitsprache.