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Adieu, Weltbürger!

Nachruf Am Samstag meldete das Pariser Théâtre de l’Odéon den Tod des Regisseurs Luc Bondy

Luc Bondy Foto: dpa

Nachrichtenübermittlung funktioniert im digitalen Zeitalter schnell und zuverlässig. Und doch ließ die Meldung, dass Luc Bondy im Alter von 67 Jahren gestorben sei, für einen Augenblick auf Irrtum hoffen, auf den bösen Scherz einer Mo­lière-Figur, wie Bondy sie mitten im Gespräch treffend skizzieren konnte, um sogleich den zuvor begonnenen Gedanken in unvermindertem Ernst fortzuführen. Die Auseinandersetzung mit dem Tod war ihm, bedingt durch schwere Erkrankungen, nicht fremd. Und mehrfach ist er ihm von der Schippe gesprungen – mit Glück, guten Ärzten und einem unbändigen Lebenswillen.

Nur Narren leugnen den Moment, an dem die Magie des Theaters nicht weiterhilft. Einmal mehr kommt er jedoch mehr als ungelegen. Bondy hatte 2013 Wien nach langen Jahren als Intendant der Festwochen verlassen, um in Paris am Théâtre de l’Odéon noch einmal durchzustarten. In der Oper schien sich etwa mit der Uraufführung „Charlotte Salomon“ 2014 bei den Salzburger Festspielen eine neue Phase seiner Produktivität aufzutun.

In Wien hatte man ihm noch den Nestroy-Preis für sein Lebenswerk 2013 mit auf den Weg gegeben. Er nahm ihn kurz angebunden und weltläufig mit einer Theateranekdote entgegen, durchaus im Wissen, dass diese Auszeichnung durch den Werdegang seiner Vorgänger in der Stadt zu einer Art Todesbotin geworden war. Von Bondy lässt sich lernen, dass Leichtigkeit nichts mit Leichtgewicht zu tun hat, sondern mit einer reifen Haltung gegenüber den Zumutungen des Lebens und der Geschichte.

Nach Assistenzen am Hamburger Thalia Theater 1969 wurde er zu einem führenden Repräsentanten der westdeutschen Theaterrepublik, die die Bühne noch einmal (vielleicht zum letzten Mal) zum zentralen Ort gesellschaftlicher Selbstverständigung erhob. In den 70er Jahren war er am Schauspiel Frankfurt, als ein Ensemble Theaterstrukturen jenseits feudaler Hierarchien erprobten. An der Berliner Schaubühne wirkte er nach dem Rücktritt Peter Steins 1985 im Leitungsteam. Als das Theater die Welt verändern wollte und viele KollegInnen nicht nur den Klassikern neue Lesarten abrangen, sondern auch die Geschichtsphilosophie der blauen Bände büffelten, überließ Bondy sich der nicht endenden wollenden empirischen Erforschung menschlicher Verhaltensweisen. Ihn interessierte, was Menschen auch noch nach ihrer Befreiung unglücklich macht. Das unpolitisch zu nennen greift zu kurz, denn diese Sicht setzt voraus, dass ein Leben in befreiten Zuständen grundsätzlich möglich ist.

1998 machte ihn die „rote ­Ursel“ Ursula Pasterk, damals Kulturstädträtin, zum Schauspieldirektor für die Wiener Festwochen, vier Jahre später war er Intendant. Die einst graue Stadt am Rande des Eisernen Vorhangs lag nun im Zentrum Europas – mit all seinen Verwerfungen. Der Aufstieg Jörg Haiders und die schwarz-blaue Regierung 2000 galten als ein gefährlicher Mix aus wirtschaftlicher Modernität und ewig ges­triger Ideologie. Bürger Bondy musste offen politisch agieren, was ihm bisweilen schwerfiel, vielleicht hatte er gerade deswegen mehr bewirkt als alle Peti­tionen der üblichen Verdächtigen zusammen.

Der Hintergrund einer jüdische Familie mit österreichisch-ungarischen Wurzeln, die auch der nationalsozialistische Terror nicht gänzlich auszureißen vermochte, hinterließ möglicherweise eine vorsichtige Affinität zur alten Hauptstadt. Heimisch wurde er dennoch nicht, aber das muss man hier nicht, um trotzdem gut zu leben.

Den Festwochen hatte er ­einen wunderbar verrätselten „Tartuffe“ hinterlassen – mit Joa­chim Meyerhoff, Edith Clever, Johanna Wokalek und dem mittlerweile ebenfalls verstorbenen Gert Voss. Eine Mikrostudie über Machtmissbrauch an einem der schrecklichsten Orte unserer Gesellschaft – in der bürgerlichen Familie. Uwe Mattheiß

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