Buch mit Bildpostkarten aus Auschwitz: Ein Ort des Massentourismus
Pawel Szypulski hat Nachkriegspostkarten aus Auschwitz gesammelt und in einem Buch veröffentlicht. Die Banalität wirkt verstörend.
Selbstverständlich wissen wir, dass das Konzentrationslager Auschwitz, schon lange ein Museum, ein Ort des Massentourismus ist. Gleichzeitig ignorieren und verdrängen wir das. Denn wir wissen nur zu gut, wie Massentourismus ausschaut. Und dieses Bild passt nicht zu Auschwitz. Unsere Kenntnis vom dort bewerkstelligten Völkermord passt nicht mit den allzu bekannten touristischen Begleiterscheinungen zusammen, die wir auch sonst nicht besonders erfreulich finden, die hier aber völlig deplatziert erscheinen.
Unbedingt gehört zu diesen Begleiterscheinungen die Bildpostkarte. Und wirklich wurden, nachdem der Krieg vorbei und die Lager geschlossen waren, gleich erste Ansichtskarten mit Grüßen aus Auschwitz versandt. Der polnische Künstler und Kurator Paweł Szypulski hat sie gesammelt und seine Kollektion unter dem Titel „Greetings from Auschwitz“ jetzt als Buch veröffentlicht.
Die älteste Fotopostkarte stammt aus dem Jahr 1947, die jüngste ist von 1976. Fast alle der im Band reproduzierten Ansichtskarten waren einst im Umlauf. Ganz offensichtlich wurden sie an Familien, Freunde und Bekannte versandt.
Tatort der Vernichtung
Pawel Szypulksi: „Greetings from Auschwitz“. Edition Patrick Frey, Zürich 2015. 88 Seiten, 75 Farbabbildungen, 30 Euro.
Die Motive sind die bekannten: Das Lagertor mit dem Spruch „Arbeit macht frei“, der Lagerzaun, die Baracken dahinter beziehungsweise die Wachtürme, der Hof mit Block 10 und Block 11 und der schwarzen Wand, an der die Erschießungen stattfanden, schließlich das Krematorium und die Gleise, die ins Lager hineinführen. Auf der Rückseite eines Panoramas von Auschwitz mit den Schornsteinen des Krematoriums und dem Lagereingang kann man nach den Grüßen aus Auschwitz im Postscriptum lesen: „Alles ist bestens, ich vermisse nur dich und die Sonne.“ Das Bild von Block 11, dem sogenannten Todesblock, verschickt eine Frau mit den Worten: „Warme Grüße aus Auschwitz mit einer Sommerbrise von deiner Schwester Czéska.“
Auch das ist uns bewusst: wie wenig dafür spricht, es stünde auf Postkarten aus Auschwitz anderes zu lesen als auf denen, die aus Venedig verschickt werden. Trotzdem berührt es unangenehm, dass keiner der Grüßenden der Ermordeten gedenkt oder auf die Geschehnisse des Ortes zu sprechen kommt. Das höchste der Gefühle sind Grüße aus dem „bedrückenden Auschwitz“. Warum also sollen wir uns Paweł Szypulskis Sammlung überhaupt vor Augen führen? Zumal ein Ausschnitt aus den Erinnerungen des Lagerhäftlings Wilhelm Brasse, der in Auschwitz fotografierte, und ein Essay der Historikerin und Filmwissenschaftlerin Iwona Kurz notwendig, aber nicht hinreichend sind, die Sammlung zu kontextualisieren.
Hier hätte der Verlag mehr tun müssen. Denn natürlich möchte man wissen, wie Paweł Szypulski auf die Idee kam, diese Karten zu sammeln und nach welchen Kriterien er das tat. Man fragt sich, warum die Sammlung in den 1970er Jahren endet, warum sind es nur polnisch beschriftete Karten, wie kommt es zu der Postkarte, mit der das Buch schließt und auf der das Verbrennen von Leichen zu sehen ist? Kurz, man hätte endlos Fragen.
Dabei ist die wichtigste natürlich die, was uns diese touristischen Grüße aus dem ehemaligen Todeslager letztlich sagen? Am deutlichsten scheint das Motiv der Wiederkehr der Verleugnung. Selbst wenn man vor Ort ist, und das ist man ja nur, weil es der Ort eines Menschheitsverbrechens ist, leugnet man weiter und wieder dieses Verbrechen, das von Anbeginn geleugnet wurde. Schon da dank handkolorierter Bildpostkarten mit einem im Lager aufgenommenen Blumenstillleben, wie Wilhelm Brasse berichtet. Auch später sieht man über das Verbrechen hinweg, obwohl es Motiv der Rückseite ist, thematisiert es nicht und plappert darüber hinweg. Es ist nicht schön, aber notwendig, dass dieser Bildband uns das bewusst macht.
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