ZURÜCK IN NEUKÖLLN: Kanéna próvlima
Nach langer Abstinenz kehrte ich nach Neukölln zurück. Ich hatte mir zwar geschworen, nie wieder einen Fuß auf dieses Stück verbrannter Erde zu setzen. Doch es war ein Notfall. Mein griechischer Freund rief mich sturzbetrunken zwei Minuten vor Mitternacht an. Du musst mir helfen, sagte er, ich hab kein Geld mehr, sitz in einer Bar in der Weser und vor mir ein paar leere Gläser. In diesen Tagen fällt es überzeugten Europäern wie mir schwer, zu lügen. Mein Freund, hätte ich gern gesagt, ich hab leider nur ein paar Groschen im Geldbeutel, und in Schöneberg verschwinden die Bankomaten nachts in ihren Zementsärgen – und wär wieder ins Bett gekrochen.
Alter, sagte ich stattdessen pflichtschuldig, versuch die Kellnerin noch zwanzig Minuten hinzuhalten, ich komme sofort. Meine Tante hatte mir gerade etwas Geld geschickt, von ihrer Witwenrente abgezweigt, also no problem, oder wie man auf Griechisch sagt: „Kanéna próvlima.“ Ich schwang mich an der Hauptstraße in ein Taxi. Der Fahrer, ein Gottseidank schweigsamer Assyrer, folgte meinen Anweisungen aufs Wort: Wir flogen über den Columbiadamm, rasten zum Hermannplatz und fädelten in die Weserstraße ein.
Mein Freund hatte mir nur eine vage Beschreibung der Location gegeben. Lange Bar, viel dunkles Holz. Man kann rauchen. Ich ließ den Fahrer alle zehn Meter stoppen. Scheiße, es gab eine Bar neben der anderen, und es zog sich viel weiter nach Süden als damals, als ich noch in Neukölln …
Ach, damals. Seufz. Damals war die Bar mit dem vielen dunklen Holz, auf die wir an der Ecke Wildenbruchstraße stießen, ein türkisches Music-Café. Jetzt hoben mein Freund und ich den Altersdurchschnitt. Ich legte meine Geldbörse auf den Tresen, er bestellte noch eine Runde, dann schleppte ich ihn nach draußen. Der Taxifahrer hatte in weiser Voraussicht gewartet. TIMO BERGER
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