: Aladin und die Wundertüte
Musical Im neuen Hamburger Musical „Aladdin“ wird ein überzuckerter Orient Schauplatz einer virtuosen Swing-Show. Eine Tiefendimension eröffnet der kulturelle Crossover nicht
Von Klaus Irler
Hamburg hat keinen Broadway, Hamburg hat Bundesstraßen. Für das Musical-Leben der Stadt sind die insofern wichtig, als dass sie ein wesentliches Marketinginstrument sind: In diesen Tagen gibt es keine Hamburger Bundesstraße, die nicht plakatiert wäre mit Aladdin-Plakaten. Natürlich sind auch die U- und S-Bahnen voll mit Aladdin, aber die Bundesstraßen-Plakate sind größer. Haushoch sind sie an der Ecke, an der die B431 in die B4 übergeht: Dort verkleiden die Plakate die Fassade eines Hauses, das bei näherem Hinsehen das Musical-Theater Neue Flora ist, in dem Aladdin nun Premiere hatte.
Der Hamburger Bundesstraßen-Aladdin ist ein Import des New Yorker Broadway-Aladdins, weshalb überall „Das neue Musical vom Broadway“ steht. Genau genommen ist es aber so, dass auch der Broadway Aladdin importiert hat: Die Uraufführung des vom Disney-Konzern entwickelten Stücks war 2011 in Seattle. Die Vorlage für das Musical lieferte der gleichnamige Disney-Film aus dem Jahr 1992. Der wiederum basiert auf der Geschichte „Aladin und die Wunderlampe“ aus den „Märchen aus 1001 Nacht“.
In Hamburg ist nun eine deutsche Variante des Disney-Musicals zu sehen. Das bedeutet: Es erklingt die gleiche Musik wie in New York, aber der Flaschengeist Dschinni (Enrico De Pieri) ist ein Kieler Jung und Aladdin (Richard-Salvador Wolff) hat dieses Jahr sein Studium an der Folkwang Universität in Essen abgeschlossen. Gesungen und gesprochen wird auf deutsch, es herrscht das Prinzip der möglichst direkten Übersetzung: Aus der Zeile „I can show you the world“ im Titelsong „A Whole New World“ wird schlicht: „Komm, ich zeig‘ dir die Welt.“
Für den Film und das Musical hat Disney die Rechte und verdeutlicht das mit einem verdoppelten „d“: Disney gehört „Aladdin“, eingebürgert hat sich die Schreibweise „Aladin“. Disneys Geschichte, kurz zusammengefasst: Aladdin ist ein junger, gut aussehender Straßendieb in einer fiktiven orientalischen Stadt, der sich in die Prinzessin Jasmin verliebt. Der böse Zauberer Dschafar schickt Aladdin in eine Zauberhöhle, um eine Wunderlampe zu holen, in der der Geist Dschinni steckt und Wünsche erfüllt. Aladdin behält die Lampe und lässt sich in einen Prinzen verwandeln, damit eine Heirat mit Jasmin möglich wird. Dschafar lässt Aladdin im Palast festnehmen. Aladdin überlistet Dschafar und Jasmin heiratet ihn, obwohl er in Wirklichkeit kein Prinz ist.
Zunächst ist Aladdin ein farbenfrohes Spektakel: Die pseudo-orientalischen Kostüme glitzern, die Ausstattung ist opulent und die Szenerien wechseln schnell. Das Stück zielt – wie der Film – darauf, eine märchenhaft überzeichnete Welt zu präsentieren. Die Bühnenbilder arbeiten mit Tiefe im Raum, unterstützt durch aufwändig gesetztes Licht, das Weite suggeriert.
Wo Beine in die Luft fliegen
Auf dieser Folie hat Regisseur und Choreograph Casey Nicholaw eine Show entwickelt, die sich musikalisch und tänzerisch der 1930er und 40er-Jahre bedient. Das Orchester spielt virtuose Swing-Nummern und die Tänzer mischen ausgehend von Lindy Hop auf zum Teil furiose Weise alle möglichen Tanzstile.
Aus der Einführung von Flaschengeist Dschinni wird eine gut siebenminütiger Choreographie des Crossovers: Beine fliegen in die Luft wie im französischen Cancan, es gibt Square Dance, Mambo, Tango, Charleston und Step-Einlagen. Dschinni scattet wie Louis Armstrong und persifliert Rudi Carell. Das Orchester mischt Blues und Tango. Und in der Zauberhöhle stehen Felsen, die aussehen wie alte Wolkenkratzer in Manhattan.
Die Frage ist, wie das zusammen geht: Eine orientalische Geschichte, Swing aus dem Orchestergraben und westlicher Showtanz verschiedener Epochen. Aladdins Antwort lautet: gar nicht. Das Orientalische ist nur der Anlass, glitzernde, bauchfreie Kostüme anzuziehen. Und wenn Musik, Tanz und Kostüme nur virtuos und aufwändig genug sind, fragt irgendwann keiner mehr, was das alles miteinander zu tun haben soll.
Das Disney-Kalkül
Auf der Ebene der Geschichte hat Aladdin, wie auch sein Hamburger Disney-Vorgänger „Tarzan“, das Problem der schlimm eindimensionalen Charaktere. Was die Figuren wollen oder fühlen, wird wieder derart überdeutlich mitgeteilt, dass eine Einfühlung unmöglich ist. Die Zuschauer sehen nicht nur, dass Prinzessin Jasmin sich unfrei fühlt, sie bekommen es auch gesagt und vorgesungen. Offenbar ist das das Disney-Kalkül: Jedes Kind muss die Geschichte verstehen können, damit die ganze Familie Tickets kaufen kann.
Für die Erwachsenen bleibt eine Tanzshow und der gut gemachte Swing eines Orchesters, das schon rein quantitativ den Namen verdient – im Gegensatz zu anderen Stage-Produktionen kommt wenig vom Band oder aus dem Keyboard, dafür sitzen echte Menschen im Orchestergraben. Leider gibt es in den sentimentalen Momenten der Geschichte auch jene Musical-Balladen, die nicht nur vor Kitsch triefen, sondern auch austauschbar wirken: Ob nun Aladdin seine Jasmin, Rocky seine Adrian oder Tarzan seine Jane küsst, der Geigen-Pop klingt immer gleich.
Was die Ticketpreise betrifft, so hat Stage Entertainment bei Aladdin auf das bereits hohe Niveau anderer Shows nochmal draufgesattelt: Je nach Wochentag und Ferienzeit reicht die Preisspanne für Normalpreistickets in der mittleren Preiskategorie von 100 bis 135 Euro, Service- und Versandgebühren kommen noch dazu.
Stage Entertainment begründet die Preispolitik mit dem hohen Aufwand an Material und den vielen Darstellern und Musikern. Im Umkehrschluss hieße das, dass bei den anderen Musicals der Aufwand geringer sein muss. Das lässt sich aus der Zuschauersicht nicht bestätigen: Aladdin spielt in einer Liga mit Tarzan und „König der Löwen“.
Aladdin: täglich, Neue Flora in Hamburg
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