Neues Leben für die Platte

BAU Tausende leer stehende Wohnungen in Brandenburg sollen für Flüchtlinge saniert werden. Erfahrung hat damit die Stadt Cottbus – allerdings auch mit rechter Gewalt

Der Abrissbirne entkommen: Plattenbauten in Brandenburg Foto: Martin Schutt/picture-alliance

von Andreas Wolf

Bisher hatte Brandenburg ein Problem: Jede elfte Wohnung in im Land steht leer. Die meisten dieser über 38.000 Wohnungen befinden sich in Plattenbauten, die eigentlich seit vielen Jahren abgerissen werden sollen – doch das ist teuer: 17,5 Millionen Euro waren für die Abrisse vorgesehen. Vor allem Städte mit großen Neubaugebieten wären betroffen gewesen: Eisenhüttenstadt, Cottbus, Frankfurt (Oder).

Nun die Wende: Das Land saniert die Plattenbauten und will sie für Flüchtlinge bewohnbar machen. 70 Millionen Euro stehen bereit, um bis zu 4.000 Wohnungen zu sanieren. Das Geld für 200 Wohnungen hat das Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung bereits bewilligt. „Wir schauen, wie es weitergeht mit den Flüchtlingen; wie viele kommen, wie viele bleiben“, erklärt Michael Brentrup vom Ministerium .

50 Städte in Brandenburg sind von leer stehenden Wohnungen betroffen. Der Leerstand werde sich bis 2020 in den meisten Landkreisen erhöhen, landesweit um drei Prozent, prognostiziert das Ministerium. Jede achte Wohnung im Land wäre dann unbewohnt.

Am stärksten betroffen ist Cottbus: Dort stünde jede vierte Wohnung 2020 leer; zurzeit ist es jede zwanzigste. Cottbus’ Oberbürgermeister Holger Kelch sieht drei Ursachen für den steigenden Wohnungsleerstand: den demografischen Wandel, „Unsicherheiten zur wirtschaftlichen Entwicklung in der Region“ und Familien, die in zinsgünstigen Zeiten Wohnungen bauen. Etwa 2.000 Plattenbauten von verschiedenen Eigentümern waren in Cottbus bislang für den Abriss vorgesehen.

Auf Wohnungen verteilt

Seit etwa zwei Jahrzehnten nutzt die Stadt bereits Plattenbauten als Flüchtlingsunterkünfte. „Die Flüchtlinge werden in Gemeinschaftswohnungen untergebracht und von dort auf Wohnungen im gesamten Stadtgebiet verteilt“, erklärt Kelch. Die Strategie habe sich seit Jahren bewährt. „Und trotz steigender Zuweisungen konnten wir diese Strategie weitgehend beibehalten“, ergänzt er. Bis zum Oktober dieses Jahres hat Cottbus 636 Flüchtlinge aufgenommen. Rund 220 weitere Flüchtlinge sind im Ortsteil Sachsendorf in Turnhallen untergebracht, die bis 250 Menschen beherbergen können.

Das Land hatte die Stadt Cottbus beauftragt, die Turnhallen ab Oktober als Notunterkünfte zu nutzen, um die Außenstelle der zentralen Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) in Eisenhüttenstadt zu entlasten. Diese gelangt an ihre Kapazitätsgrenze: 5.000 Flüchtlinge sind dort untergebracht, bis Mitte 2016 sollen es doppelt so viele sein, schätzt Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD). Nach seinen Hochrechnungen werden dieses Jahr 36.000 Menschen nach Brandenburg geflüchtet sein. Mit weiteren 40.000 rechnet Schröter im nächsten Jahr.

In Cottbus erwartet Oberbürgermeister Kelch bis zum Jahresende circa 1.000 Flüchtlinge, „Tendenz steigend“. Im Rahmen des Stadtumbauprogramms will Cottbus „voraussichtlich 300 Wohnungen“ anmelden und für Flüchtlinge herrichten. Nicht alle Plattenbauten werden saniert, sagt Kelch. „Ungeeignete Gebäude werden abgerissen. Dazu zählen Plattenbauten, die bereits entkernt sind und wo der Aufwand unvertretbar wäre, sie wieder herzurichten.“

Leerstand in Brandenburg

Landkreise mit den meisten leer stehenden Wohnungen sind Forst mit 19, Lauchhammer und Wittenberge mit je 17 sowie Guben mit 16 Prozent. Landkreise mit den wenigsten leer stehenden Wohnungen: Fürstenwalde/Spree, Schwedt/Oder, Jänschwalde und Templin mit je 4 Prozent.

Prognosen: Den größten Anstieg von leer stehenden Wohnungen bis 2020 wird es in den Städten Cottbus mit 19, Spremberg mit 16 und Wittenberge mit 15 Prozent geben.

Landkreise mit den wenigsten leer stehenden Wohnungen bis 2020: Prenzlau, Templin, Jänsch­walde mit je 2 Prozent. Quelle: www.lbv.brandenburg.de. (aw)

Durch die Stadt gehetzt

Einladend wirkte Cottbus zuletzt allerdings nicht auf Flüchtlinge: Mehrmals kam es im Oktober zu Anti-Flüchtlings-Demonstrationen vor der neuen Notunterkunft, zu teils rassistischen Übergriffen und Anzeigen wegen Volksverhetzung; die NPD und dutzende polizeibekannte Nazis waren vor Ort.

Bei der Demo am 24. Oktober erreichte die Gewalt eine neue Dimension: Abends hetzten Rassisten eine Gruppe Ausländer durch die Stadt, auf dem Campus der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) wurden Studenten verletzt. Ob die Taten auf dem Campus mit der Demo zusammenhängen, ist nach Aussage der Polizei noch unklar. Das Bündnis Cottbus Nazifrei und die attackierten Studenten gehen davon aus. BTU-Direktor Jörg Steinbach glaubt seinen StudentInnen: Es gebe „mehrere glaubwürdige Zeugen“.

Nach dem Campus-Vorfall äußerte sich Steinbach besorgt: „Cottbus soll kein zweites Dresden werden.“ Oberbürgermeister Kelch bezeichnete diese Aussage als „nicht sehr glücklich“, sie sei „sicher den Emotionen geschuldet“. Steinbachs Sprecherin Marita Müller sagte, man sollte die Worte des Uni-Direktors „nicht so aufbauschen“. Der Fall auf dem Campus sei der einzige ihr „seit Urzeiten bekannte“.

Die Stadtverordnete Martina Münch (SPD) sieht ebenfalls keine Gefahr, dass Cottbus ein „zweites Dresden“ wird: „Herr Steinbach hat das sicher etwas überspitzt formuliert.“ In Cottbus habe es in den vergangenen Jahren „kaum rechte Übergriffe“ gegeben. Stattdessen hätte sich in der Stadt viel geändert, Cottbus sei internationaler geworden. 20 Prozent der circa 9.000 BTU-StudentInnen sind Ausländer. Dennoch, betont Münch, gebe es seit Jahren Probleme mit „drei schwierigen Milieus“ aus der rechten Szene: Rocker, Hooligans und „handfeste Rechte“. Diese hätten bis Oktober vergeblich versucht, mit ihrer „Anti-Flüchtlings-Propaganda“ Stimmung zu machen.

Laut Münch sind jüngste Vorfälle darauf zurückzuführen, dass die Turnhallen kurzfristig gesperrt wurden. Das habe die BürgerInnen im „tatsächlichen Leben“ getroffen, weil unter anderem der Schulsport ausfiel. Dadurch hätte die rechte Szene Zulauf bekommen von „besorgten Bürgern mit latenter Fremdenfeindlichkeit“. Münch: „Eine gefährliche Mischung.“

„Cottbus soll kein neues Dresden werden“

Jörg Steinbach, Präsident BTU Cottbus

Kelch unterscheidet die Cottbuser Demo-TeilnehmerInnen in „bekannte Neonazis, sogenannten besorgte Bürger, Verschwörungstheoretiker und Menschen, die tatsächlich Angst und Unsicherheit wegen steigenden Flüchtlingszahlen spüren“. Es würden „gezielt Ängste geschürt, Gerüchte gestreut und aufgebauscht“. Die Stadt wolle aber dagegen vorgehen und etwa BürgerInnen in direkten Gesprächen und per E-Mail zur Flüchtlingssituation informieren und Fragen beantworten.

Die Demonstranten „pauschal in die rechte Ecke zu stellen“ lehnt der Kelch ab: „Damit werden wir den Menschen und der Situation nicht gerecht.“ Er sagt aber auch: „Jeder weiß mittlerweile, mit wem er da mitläuft.“

Ob Cottbus ein Nazi-Problem habe, beantwortet der Oberbürgermeister so: „Wir wissen um die Szene und die Strukturen, Cottbus unterscheidet sich da kaum von anderen Städten.“ Seit Jahren arbeite die Stadt mit dem Land, Vereinen und Initiativen präventiv. Kelch sieht Erfolge: Die NPD-Demos hätten keinen steigenden Zulauf, die Szene bliebe unter sich. „Wir beobachten aber weiter, ob sich die kritischen Bürger tatsächlich glaubhaft und deutlich von der rechten Szene distanzieren“, sagt der OB.

Als größte Stadt der Lausitz sei Cottbus ein Anlaufpunkt für Leute von außerhalb, die sich mehr Publikum versprächen. So werde „derzeit offenbar von interessierter Seite getestet, wie viel Protestpotential in Cottbus auf die Straße zu bringen ist“, berichtet Kelch. Veranstaltungen der AfD sowie der NPD und deren Umfeld würden das jedenfalls zeigen.