Inszenierte Kontroversen: Komplizierte Verhältnisse
Hamburger Soundtrack
von Nils Schumacher
Wenn man den Medien glaubt, dann haben sich der allgemein als witzig und ideenreich gehandelte Satiriker Jan Böhmermann und der Rapper Aykut Anhan, bekannt als Haftbefehl, dieser Tage eine öffentliche Kontroverse geliefert, die schnurstracks in eine klassische Win-win-Situation einmündete.
Böhmermann soll eine mit seinem Video „Pol1z1stens0hn“ eine Art „Diss“ in Richtung Haftbefehl abgesetzt haben, in dessen Mittelpunkt die Gangster-Attitude des Offenbachers steht. Daraufhin soll dieser wiederum mit einem Video geantwortet haben, in dem die eigene Gangster-Attitude irgendwie begründet wird. So weit, so witzig und ideenreich.
Und wie beim Amateurfußball haben die einen anschließend ironisch gerufen: „beide gut“, weil sie doch annahmen, dass es sich um nicht mehr als eine Inszenierung zweier „Kumpels“ handelte. Die anderen kommunizierten derweil empört Verwünschungen und Vorwürfe in Richtung Böhmermann (der im Übrigen eigentlich auf den Berliner Rapper Fler geantwortet haben soll).
Eine ganz andere Art von kommunikativer Fehlstellung erlebte Anhan im Gespräch mit Koljah, einem „Rap-Kollegen“ der Antilopen Gang, und zwar in der Spex vom Februar dieses Jahres. Zwischen den beiden entspannt sich ein stellenweise wunderbar entlarvendes Palaver. Die dominierende Grundmelodie: nicht Gangster und ihre Bekämpfer, sondern das komplizierte Verhältnis zu Deutschland und zum Deutschsein.
Anhan, Deutscher mit (türkisch-zazaisch-kurdischem) Migrationshintergrund, hangelt sich am komplizierten Verhältnis zwischen Teilhabe- und gesellschaftlichen Diskriminierungserfahrungen entlang. Antilopen Gang sind ganz global „eher kritisch gegenüber Deutschland“ eingestellt und beschäftigen sich dann vor allem auch damit. Ersterer findet, es sei woanders (zum Beispiel Türkei) zum Teil schlimmer, Zweiterer findet, dass Ersterer doch besonders geeignet sei, darüber mal zu singen. Oh je.
Dort, wo sich echter Streit vom Zaun brechen ließe – bei den verschwörungstheoretischen Ausflügen des einen, beim recht einfach gezimmerten „antideutschen“ Bild des anderen –, da herrscht eine „Jeder hat so seine Meinung“-Haltung. Kontroversen? Finden also weiter in der oben genannten Pseudo-Version statt.
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