Stadtgespräch: Zielpunktbruchlandung
Eine österreichische Handelskette macht abrupt dicht. Die Mitarbeiter stehen auf der Straße
Ralf Leonhard aus Wien
Die Fassade der „Zielpunkt“-Filiale in der Wiener Tivoligasse ist mit einem blauen Neonrahmen trendig aufgepeppt. Die Einkaufskörbchen als Alternative zu den sperrigen Wägelchen sind neu, die Waren in den Regalen moderner arrangiert. Aber außer zwei Rentnerinnen kauft niemand ein. Der junge Mann an der Kasse ist von der Nachricht noch immer schockiert. Aus den Medien hat er am Vortag erfahren, dass sein Arbeitgeber bankrott ist und sein Arbeitsplatz ein extrem kurzes Ablaufdatum hat: 30. November.
Die größte Firmenpleite des Jahres wurde vergangenen Mittwoch angekündigt, exakt einen Monat vor Weihnachten. Zum 1. Dezember wird die Supermarktkette Zielpunkt Insolvenz anmelden. Die 2.500 Angestellten stehen dann auf der Straße. Ob das sein muss, und ob das gerade kurz vor Jahresende überfallsartig verkündet werden muss, darüber gehen die Meinungen auseinander. Zwar muss niemand um das Novembergehalt und das Weihnachtsgeld fürchten, denn in solchen Fällen springt der Staat ein. Doch diese Auszahlung müssen alle einzeln beantragen, und wann das Geld kommt, ist ungewiss.
Wolfgang Katzian, Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten, ist über die Nacht-und-Nebel-Aktion der Eigentümer empört. Er glaubt, dass der Unternehmer unrentable Standorte auf Kosten der öffentlichen Hand – sprich: den Insolvenzentgeltfonds – loswerden wolle. Dafür spricht, dass Konzernchef Georg Pfeiffer eine Anzahl von Filialen in seine andere Supermarktkette, die Unimärkte, übernehmen will. Pfeiffer weist das empört zurück. Die schlechte Umsatzentwicklung der vergangenen Wochen lasse gar keine andere Handlungsweise zu. Die Gewerkschaft habe „völlig überzogene Sozialplanforderungen gestellt“ und sei außerdem in solche Unternehmer-entscheidungen nicht mit einzubeziehen. Schulden von 36,4 Millionen Euro und ein Investitionsbedarf von weiteren 60 Millionen dürften den Griff zur Notbremse beschleunigt haben.
Die Pfeiffer-Gruppe, ein mehr als 150 Jahre altes Familienunternehmen aus Oberösterreich, hat die Supermarktkette Zielpunkt zwischen 2012 und 2014 schrittweise übernommen und seither 50 Millionen Euro hineingesteckt. Man setzte auf heimische Produkte, Eigenmarken, Fairtrade-Artikel und Ethno-Produkte.
Die eigenen Mitarbeiter mögen von der Pleite überrumpelt worden sein. Für Insider kommt die Insolvenz der Handelskette wenig überraschend. Peter Buchmüller, Obmann der Sparte Handel in der Wirtschaftskammer und selbst Betreiber eines Geschäfts in Salzburg, zum Standard: „Während die Flächen im Handel insgesamt zuletzt geschrumpft sind, sind sie im Lebensmittelbereich sogar leicht gewachsen.“ Zielpunkt habe es nicht geschafft, sich rechtzeitig zu positionieren, sei „nicht Fisch und nicht Fleisch“ gewesen. Das sei zuletzt zum Problem geworden. Die Dichte von Lebensmittelgeschäften ist in Österreich deutlich höher als in Deutschland.
Um Georg Pfeiffer muss man sich keine Sorgen machen. Seine 147 Unimärkte, ein Lebensmittelgroßhandel sowie ein Logistikunternehmen seien „kerngesund“. Die Übernahme von Zielpunkt sei „aus heutiger Sicht“ ein Fehler gewesen: „Das müssen wir offen zugeben.“
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