Wie viel symbolischpolitische Aufladung verträgt der Fußball? WENIG

Sepp Blatter fasste vergangenen Mai vor seiner letzten Wahl als Fifa-Präsident den Geltungsanspruch des Fußballs gewohnt weit: „Für die Menschen, für die Welt, für den Frieden.“ Der Mann, der überall wie ein großer Staatsmann empfangen wurde, steht stellvertretend für den Größenwahn, der sich in der Welt des Fußballs breitgemacht hat.

Die Terroranschläge von Paris dagegen haben auch in diesem sehr selbstbezogenen Kosmos bei etlichen die Realitätssinne geschärft. Der Fußball trete angesichts der schrecklichen Ereignisse in den Hintergrund, hieß es vielfach von Verantwortlichen und Spielern. Das waren leise Reaktionen, die nicht nur angemessen, sondern angesichts der schrecklichen Ereignisse selbst in der autistischen Fußballbranche so erwartet werden mussten.

Die Zurückhaltung dauerte aber nicht lange an. Der neue DFB-Interimspräsident, Rainer Koch, gab sich bei der Frage, ob das Freundschaftsspiel gegen die Niederlande am Dienstag nun stattfinden könne, plötzlich sehr staatsmännisch. Er deutete den Freundschaftskick zum Kampf gegen den Terror um. Wie die Gesellschaft im Ganzen müsse sich nun auch der Fußball zur Wehr setzen. Der Fußball habe in diesem Moment auch eine wichtige gesellschaftspolitische Funktion. Es dürfe nicht sein, dass der Terror siegt.

Der DFB-Funktionär, der bis zum Freitag noch als Aufklärungskraft die eigene Bananenrepublik ordnen sollte, hat über Nacht einen neuen Gegner entdeckt und zieht mit dem Schlachtruf „Kämpfen, Fußballer, kämpfen!“ ins Gefecht.

In der Sache mag Koch ja richtig liegen. Eine Absage der Partie könnte als falsches Signal interpretiert werden. Derlei symbolisch aufgeladenes Gebrüll braucht es aber nicht, um dem drohenden Klima der Angst etwas entgegenzusetzen, zumal die politische Lage zu komplex ist, um sie mit einem simplen Freund-Feind-Schema erfassen zu können.

Grundsätzlich wäre es gewiss zu begrüßen, wenn sich die Fußballfunktionäre wieder mehr ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung bewusst werden würden. Im Wirkungsbereich des DFB etwa liegt nach wie vor vieles im Argen: Rechtsradikalismus, Homophobie oder die Vertuschung des eigenen gesellschaftlichen Versagens. Als Alliierte im Kampf gegen den Terrorismus taugen die Fußballfunktionäre indes weniger.

Johannes Kopp