heute in Bremen
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„Nicht konfrontieren“

Vortrag Eine Validationslehrerin erklärt, wie man in die Welt dementer Menschen eintauchen kann

Heidrun Tegeler

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58, ist Diplom-Sozialpädagogin sowie Lehrerin und Master für Validation nach Naomi Feil.

taz: Frau Tegeler, worin liegen die Missverständnisse zwischen dementen Menschen und ihren Angehörigen?

Heidrun Tegeler: Angehörige sind meist nicht in der Lage, das Verhalten des anderen mit seinen Bedürfnissen zusammenzubringen. Sie stellen deswegen oft die Frage: „Warum tust du das?“ Wer mit alten und dementen Menschen zu tun hat, kennt die Reaktion auf diese Frage: Fast immer wird sehr ungehalten darauf reagiert und gesagt: „Das weiß ich doch nicht!“

Und Validation bedeutet, aus dem Verhalten ein Bedürfnis schließen zu können?

Ja. Man belässt den Menschen in seiner eigenen Wahrheit und begegnet ihm mit Empathie, Wertschätzung und Respekt. Der Grund für auf den ersten Blick unverständliche Verhaltensweisen oder Äußerungen sind nicht verarbeitete Erlebnisse. Der desorientierte Mensch ist nicht mehr in der Lage, kognitiv zu agieren, sondern nur noch emotional. Validation bedeutet, in die Welt des anderen einzudringen.

Wie geht das?

Ich zentriere mich, das heißt, ich stelle erst einmal meine Gefühle beiseite. Dann kalibriere ich mich, ich stimme mich auf den anderen ein, indem ich zum Beispiel dessen Mimik spiegele. Und dann schaue ich, wie nahe ich ihm kommen muss und wie weit ich auch Abstand von ihm halten muss. Und dann wende ich verbale Techniken an, um die Gefühle des anderen explorieren zu lassen.

Wie geht das?

Ein bisschen so wie bei einem Reporter: Ich frage nach dem Wann, Wer, Wie, Wo und Was – aber nie nach dem Warum. Mit Menschen, die nicht mehr verbal sind, singe ich beispielsweise auch.

Was kommt dabei heraus und was tun Sie dann?

Nun, wenn zum Beispiel dabei herauskommt, dass jemand seine Mutter vermisst, dann kann ich seine Wange berühren, als Anker, der ihm fehlt. Eine solche Geste reicht oft schon – man muss nur wissen, was er fühlt.

Sie haben eine jahrelange Ausbildung durchlaufen. Wie können Angehörige das lernen?

Es sind oft kleine und einfache Dinge, die beherzigt werden sollten: Nicht konfrontieren, also niemals nach dem Warum fragen, sondern immer nach Informationen suchen! Ich unterstütze Angehörige direkt, mache Hausbesuche, zeige ihnen, wie sie ihre Angehörigen ankern können. Nur wenige wissen, dass das von den Pflegekassen bezahlt wird.

Wie sieht es in Pflegeheimen aus?

Dort wird leider immer noch viel mit konfrontierenden Fragen oder mit therapeutischen Lügen gearbeitet. Da wird beispielsweise gesagt „Ja ja, Ihre Mutter kommt ja gleich“, obwohl die Mutter schon seit Jahren tot ist. Aber auch Pflegeheime können mich gern engagieren.

Interview: Simone Schnase

14.30 Uhr, Pflegestützpunkt im Haven Höövt in Vegesack

Anmeldung unter ☎ 69 62 41 0