ALLE REDEN ÜBER DEN NEUEN BOWIE-CLIP, WIR GEHEN IHM NACH: Normalos, die wahren Freaks
VON DIRK KNIPPHALS
Es gibt bei David Bowie immer wieder einzelne Zeilen, die aus seinen Songs herausstechen. Bei „Helden“ zum Beispiel, der deutschen Fassung von „Heroes“. Die Schüsse an der Mauer und das Küssen, schön und gut. Aber wie er von da aus plötzlich auf Delphine kommt! „Könntest du schwimmen / Wie Delphine / Delphine es tun.“ Im Westberlin der siebziger Jahre die Mauer und Delphine zusammenzubringen – das ist schon toll.
Oder dieses „für einen Tag“. „Doch können wir siegen / Für immer und immer / Und sind dann Helden / Für einen Tag“. Stolz und Demut, nah beieinander. (Und siegen für immer, Helden für einen Tag, genau so ist es für die Helden der Wiedervereinigung dann auch gekommen.) Bowie ist wirklich auch ein großer Lyriker. An dem neuen Song begeistert mich vieles. Die Schönheit seiner älter gewordenen Stimme. Die tiefe Traurigkeit, mit der das Lied ausfädelt. Das Geheimnisvolle dieses Videos. Wer ist diese Frau? Was ist das für ein Raum? Warum steht er dann in diesem T-Shirt einfach so herum? Und es gibt wieder diese Zeilen. „As long as there’s sun / As long as there’s rain / As long as there’s me / As long as there’s you“. Wie schlicht. Wie schön. Es gibt schon gute Gründe, warum ich mein Fansein gegen die Anmerkung, das sei doch alles bloß nostalgisch, schwer verteidigen möchte.
Aber am schrägsten ist diese Zeile: „A man lost in time near KaDeWe.“ Wie kommt er nur auf so etwas? Ich bin dann gleich los. Hab den Eingang des Hauses in der Hauptstraße fotografiert, in dem er in den Siebzigern gewohnt hat. Und bin von da aus, Hauptstraße, Bülowstraße, Kleiststraße, zu Fuß zum KaDeWe gegangen. So wie David Bowie es auch gemacht haben soll, was ein wilder Anblick gewesen sein muss. Der schillernde, queere Star inmitten dieser Mischung aus grauen Häusern und nachgebauter US-Moderne, in der Künstler, Punks und Rentner direkt nebeneinander wohnten. Nicht wir sind die Freaks, die wahren Freaks sind die Normalos – die Kraft dieses Spruches muss Bowie einfach nur, indem er da war, ausgestrahlt haben.
Das KaDeWe lag, mit dem Song im Kopfhörer, gleich wie verwandelt da, ein bisschen wie wachgeküsst, jedenfalls solange das Stück lief. Ich konnte mir sogar vorstellen, bald mal in einem der Restaurants am Wittenbergplatz an einem Samstagmittag zu frühstücken und mein Mich-verloren-Fühlen dabei (ich werde mich bestimmt in diesen Touristenrestaurants verloren fühlen) als Großstadtgefühl zu werten. Für einen Moment hat diese Zeile aus dem neuen Lied das hingekriegt. Als es zu Ende war, sah ich zwar wieder das Zusammengestoppelte und auch Billige dieses Platzes, aber es geht hier schließlich um Pop – kommt es dabei nicht vor allem auf die Momente an?
Wo ich schon mal in der Gegend war, wollte ich noch, auch ausdrücklich in meiner Eigenschaft als Westberliner Kolumnist, in dem neu eröffneten Romanischen Café im Waldorf-Astoria-Hochhaus, das der Gegend um den Zoo frischen Glanz verleihen soll, pflichtschuldig einen Kaffee trinken. Aber das Licht sah schon von außen so clean, das Ambiente so sehr nach besserem Hotel-Frühstücksraum, die Security-Leute am Eingang so scheiße aus – ich hab es dann doch lieber gelassen. Hier hätte ich mich an diesem Tag etwas zu sehr lost in time gefühlt. Immerhin, die roten Lichtbänder auf dem Würfel ganz oben, die jetzt hinter dem Mercedes-Stern des Europa-Centers weit in die Berliner Nacht hinein leuchten, die haben was. Vielleicht singt in 35 Jahren ein Star ein trauriges Lied darüber.
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