Nachruf
: Ein zum Glück unbequemer Historiker

Hans Mommsen Foto: dpa

Wie sein eine halbe Stunde älterer Zwillingsbruder Wolfgang wollte sich Hans Mommsen vom Vater, dem nazimitläuferischen Historiker Wilhelm Mommsen, beruflich absetzen. Wolfgang versuchte es mit Physik, Hans mit Germanistik – und doch fanden beide zur Geschichte, Wolfgang mit dem Schwerpunkt Imperialismus und Kaiserreich, Hans widmete sich der Weimarer Republik, dem Nationalsozialismus und vor allem der Arbeiterbewegung.

Hans Mommsen wurde in der Öffentlichkeit bekannter als sein Bruder. Er mischte sich nicht nur in den Historikerstreit 1987 ein, gemeinsam mit Jürgen Habermas und Hans-Ulrich Wehler. Er war auch ein Geschichtspolitiker mit Einflüssen in alle tonangebenden Medien, Zeit, Spiegel, FAZ und SZ. Autoritäre Gesten, publizistisch wie als Ordinarius an den Universitäten, konnte er sich leisten, weil er nicht auf Comments in der Historikerzunft Rücksicht nehmen musste: Er war ein Großer.

Mommsen gehörte, lang ist dieser Grundsatzstreit her, zu den sogenannten Funktionalisten, die die Intentionalisten bekämpften. Letztere erklärten die Gräuel des Tausendjährigen Reichs aus den Taten der NS-Täter*innen mit Hitler an der Spitze heraus. Mommsen und andere hingegen betonten, dass das deutsche Volk nicht vom NS-Parteimitgliederkörper abgespalten werden könne. Der Nationalsozialismus sei vielmehr als deutsches Ding zu verstehen, als politisches Projekt der Ermöglichung fast aller. Die Schuld allein dessen Repräsentanten zuzuschieben, ginge an der völkischen Wirklichkeit der Jahre zwischen 1933 und 1945 vorbei.

Den nichtakademischen Historiker Götz Aly mit seiner These von „Hitlers Volksstaat“ nahm er denn auch 2005 vehement in Schutz. Und schon in den Sechzigern ließ er sich vernehmen, bei den Attentätern des 20. Juli 1944 um Graf Stauffenberg handele es sich keineswegs um Figuren, die als Demokraten zu feiern seien. Antisemitische Klänge seien ihnen eigen gewesen. Und das demokratische Prinzip? Nicht mit diesem adeligen Zirkel! Im Gegenteil plädierte Mommsen nach dem Ende der DDR, den Begriff Antifaschismus nicht zu diskreditieren: Er sei dort immer verstehbar gewesen als Chiffre, die alle Widerständigkeiten gegen Nationalsozialistisches meinte.

Im vorigen Jahr ist als Mommsens nun letzte Schrift „Das NS-Regime und die Auslöschung des Judentums in Europa“ erschienen. Es fasst seine Arbeiten gut lesbar zusammen. Hans Mommsen ist am Donnerstag, an seinem 85. Geburtstag, in Tutzing gestorben. Jan Feddersen