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Die WahrheitSicher nicht versichert

Kolumne
von Ulrike Stöhring

Warum der Beruf des Versicherungsvertreters junge Leute anzieht, ist genauso rätselhaft wie das Versicherungswesen an sich.

N eulich belauschte ich im Bus das Gespräch einer kleinen Rotte männlicher Adoleszenter, das sich neben wichtigen Fragen der Deo-Auswahl um ihre berufliche Zukunft drehte. Bald war man sich einig: Kohleverdiener! Das sollte es sein …

Niemand in der Gruppe schien von Beruf reicher Sohn, sonst hätten sie ja auch nicht dickhosig den öffentlichen Nahverkehr verstopfen müssen. Lautstark wurde der Weg zum Ziel erörtert. Zu meiner Verwunderung einigte man sich nicht auf die beliebten Berufsfelder Drogendealer, HipHopper oder Herzchirurg, sondern auf – Versicherungsvertreter.

Habe ich was verpasst? Sind Versicherungsvertreter nicht die, die nach ihrer Stasikarriere nichts anderes mehr bekommen haben? Die die Einkommensquelle von Hotels in Bahnhofsnähe sind? Die bis zum Abschluss der Verträge Rosengärten mit Champagnerquellen und im Schadensfalle überhaupt nichts mehr versprechen?

Im Sommer machte die Fluggesellschaft Air Lituanica pleite. Leider nachdem ich dort drei Flüge gebucht und bezahlt hatte. Das Geschäft lief über Opodo, das Online-Reisebüro mit der Telefonhotline, die nur als legendär zu bezeichnen ist. Egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit sagt Opodo: No way, ruf später oder am besten nie wieder an!

Irgendwann, wenn man halsstarrig bleibt, erbarmt sich ein eindeutig ungeschulter Mitarbeiter das Abwimmeln persönlich zu übernehmen. Und so erfuhr ich, dass Reisende, die direkt bei der Fluggesellschaft gebucht haben, aus der Konkursmasse entschädigt werden, Kunden wie ich dagegen, an denen Opodo mitverdient hat, nicht. „Sind Sie versichert gegen die Insolvenz von Fluggesellschaften?“, wurde ich streng gefragt. Klar! Und gegen Bisse durch Uhus in der Innenstadt und gegen Trunkenheit in Kneipen und dann noch gegen Liebeskummer. Letzteres aber nur von März bis Mai. Länger kann ich es mir nicht leisten …

Aber ich will mich nicht beklagen. Die größten Lebensrisiken sind für mich als Angestellte durch die Unfallkasse Berlin prima abgesichert. Ein Vertreter weihte mich jüngst wieder in die Feinheiten ein. So bin ich während der Arbeitszeit für den Weg zum Klo versichert, nicht aber auf selbigem. Breche ich mir beim Pinkeln ein Bein, tue ich gut daran, auf den Flur zurück zu robben und um den Durchgangsarzt zu flehen.

In jedem Büro und in jeder Werkstatt muss ein sogenanntes Verbandbuch vorgehalten werden, wo noch die kleinsten Verletzungen eingetragen werden sollen. Hat man sich also an der Büroklammer gepiekst und muss deshalb der Arm amputiert werden, ist man nur versichert, wenn der Vorfall umgehend dokumentiert wurde. Neuerdings sollen aber auch seelische Verletzungen im Buch notiert werden. Je nach Temperament, Gruppendynamik und Bürogröße dürfte da kein Mangel herrschen. Wen kümmert schon Datenschutz.

Meine Jungs aus dem Bus jedenfalls nicht. Ob sie es je zum Versicherungsvertreter bringen werden? Gerochen haben sie immerhin schon so.

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