Der finale Liebesdienst: Die Liebe des Herrn Puppe

Peter Puppe hat sich selbst zum Sterbehelfer ausgebildet. Er hat Methoden ausgekundschaftet, sich zu töten, schmerzfrei, soweit sich das sagen lässt.

Sieht Sterbehilfe als Liebesbeziehung: Peter Puppe. Foto: Benno Schirrmeister

Bremen taz | Peter Puppe trägt einen weißen Dreitagebart, sein Hemd ist violett und für manche ist der Pensionär aus Bremen ein Erlöser. Wobei, „ab sofort ist meine Biografie eine andere“, sagt Puppe. Das scheint so die ironische Floskel des 71-Jährigen, um mit dem neuen Gesetz umzugehen.

Denn der Bundestag hat ja vergangene Woche beschlossen, die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe zu stellen. Und weil Wiederholung ein Kennzeichen geschäftsmäßigen Handelns ist, sagt Peter Puppe, der ehemalige Lehrer: „Ab sofort werde ich niemanden mehr in den Tod begleitet haben.“ Niemanden, außer dem einen Fall, seinem ersten, vor zehn Jahren. Das war die Sache mit Herrn Grobecker.

Die ist dokumentiert. Puppe hat aufgeschrieben, wie er sich bei dem 90-Jährigen gemeldet hatte, der per Kleinanzeige einen „Patientenanwalt“ suchte. Dass der ihm aber gleich beim ersten Besuch eröffnet habe, dass damit ein Sterbehelfer gemeint gewesen sei. „Ich suche einen Menschen, der mir den letzten Liebesdienst erweist“, habe Grobecker ihm dann gesagt, erzählt Puppe.

Dass ihn das völlig überfordert hat, damals, verschweigt er nicht, weder die hilflosen Überlegungen noch die drei stümperhaften Fehlversuche, „das letzte war, dass er sich versucht hat, in meiner Gegenwart die Pulsadern aufzuschneiden“. Bloß die Sehnen hat sich der alte Mann durchtrennt mit der Rasierklinge. Puppes Lachen klingt wie ein heiseres Husten. „Makaber war das schon.“ Zum Schluss ist Puppe dann mit ihm in die Schweiz geflogen.

Kurz nach Grobeckers Tod ist das Buch erschienen, im Selbstverlag. „Sterbehilfe“, heißt es, „die letzten Wochen des Klaus G.“. Für Puppe ist das Jahr ein Wendepunkt. Sein jüngstes Kind kommt ins Kindergartenalter, als Puppe beginnt, durchs Land zu reisen. Er berät Menschen, die lebensmüde sind. Er hat sich selbst zum Sterbehelfer ausgebildet. Er hat Methoden ausgekundschaftet, sich zu töten, schmerzfrei, soweit sich das sagen lässt. Und er teilt das Wissen, mit denen, die keine Hoffnung mehr sehen, nach jahre-, manchmal jahrzehntelangen Leidenswegen durch Schmerzkliniken, Operationssäle, Therapiezentren, von Arzt zu Arzt zu Arzt.

Acht eng bedruckte Seiten umfasst die Krankenhaus-Liste von Harald S., als er sich im Mai 2013 an Puppe wendet, 45 Jahre ist er da alt. Acht Seiten, 130 Behandlungsformen, elektrische Streckbank, Akupunktur, Epiduralkatheter, Botoxspritzen, Wirbelkörperverblockung, Heilpraktiker und zahllose Operationen, immer wieder, 25 Jahre lang: „Und kein einziger Tag war es wert, gelebt zu werden!“, die Bilanz hatte Harald S. selbst gezogen. Am 17. Juli 2013 hat er „seinen Leidensweg beendet“, schreibt die Mutter am 1. August nach Bremen an Peter Puppe. An seinem Sterbetag habe er ihr gesagt, „dies würde sein Freudentag“, teilt sie mit. „Es ist uns Eltern ein großes Bedürfnis, Ihnen zu danken!“

„Seit 2005 ist das mein Mittelpunkt“, sagt Puppe und er lächelt. „Ich habe nie eine wertvollere Arbeit gemacht.“ Toll fühle es sich an. Es könne einen glücklich machen, wenn man merkt, dass man etwas Sinnvolles tut. Das Verhältnis sei so vertraut, so herzlich, so warm und oft auch so humorvoll. „Es klingt eigenartig“, sagt der Mann, der 35 Jahre lang Jugendliche unterrichtet hat und Kinder, zuletzt war er Konrektor, an einer Schule für Sprachbehinderte, „aber irgendwann habe ich mich dazu berufen gefühlt“.

Mit einigen Hundert Menschen hat Peter Puppe vertrauliche und intime Gespräche über deren Tod geführt, das ist so eine Angabe, die er immer mal wieder macht, nicht ohne zu betonen, dass die allermeisten davon noch leben.

Puppes Buch hat damals noch den Arthur-Koestler-Preis der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) gekriegt, aber mit der ist Puppe auch schon länger über Kreuz. Rausschmeißen hatte die ihn wollen, und ihn als Ansprechpartner absetzen. Zu Unrecht, hat das Schiedsgericht dann festgestellt. Der Verein hat Puppe also wieder aufgenommen. Dann ist Peter Puppe ausgetreten. Freiwillig.

Anfang der 1960er war Peter Puppe bei der Bundeswehr Zeitsoldat gewesen. Von der Armee hat sich der Leutnant der Reserve dann Ende der 1970er getrennt, die Nato-Doppelbeschlüsse, nachträgliche Verweigerung. Das haben damals einige so gemacht, aber ein leichter Gang war das für keinen.

Als Puppe 1996 Bündnis 90/Die Grünen verlässt, ist das der Zeitung immerhin eine Meldung wert: Er hatte ja in der Kommunalpolitik mitgespielt. Als er in die Partei gegangen war, hatte er mehr werden wollen. „Natürlich hatte ich damals den Ehrgeiz, etwas in der Politik zu werden“, bekennt Puppe selbst. Man träumte vom Bundestag. „Während der Friedensbewegung arbeitete er im Bundesvorstand der Grünen an der Seite von Petra Kelly“, heißt es in seiner Kurzvita, der für die Bücher.

Spuren bei den Grünen

Laut Parteiarchiv war er da wirklich Beisitzer, vom 4. Oktober 1981 bis 14. November 1982. Die Spuren seiner Arbeit sind so leicht nicht aufzufinden. Selbst in Bremen wollen sich überraschend wenige an ihn erinnern: Ein paar Wertungen gibt es, oder eher Abwertungen, aber keine gemeinsamen Erlebnisse, keine Geschichten.

Immerhin, Dietrich „Hucky“ Heck, auch ein Grüner, der damals dort, wo Puppe im Ortsbeirat saß, Stadtteilbürgermeister geworden war, ein sensationeller Erfolg für die Jungpartei, sagt was Nettes, oder etwas, was man dafür halten kann: Dass Puppe „sehr beredt“ aufgetreten sei, „eigentlich immer mit sinnvollen Beiträgen“, und dass er „so ein typischer Lehrer war, wenn du weißt, was ich damit meine“.

Klar. Typischer Lehrer. Weiß man doch. Zum Beispiel sind Lehrer Menschen, die bevorzugt Comic-Sans-Typo verwenden. Und natürlich nutzt auch Puppe diese Schriftart, für einige seiner Selbstverlags-Bücher genauso wie für die „Einvernehmliche, private Gesprächsvereinbarung“, die er aufgesetzt hat und die er künftig, um sich abzusichern, den Menschen zum Unterzeichnen vorlegt, mit denen er über ihre Todessehnsucht spricht.

Und natürlich hat er ein paar Halbsätze darin, wie das jeder Lehrer machen würde, angemarkert: „... zu keinem Zeitpunkt die Absicht hat, die Selbsttötung eines anderen zu fördern“, „Maxime ‚Lebenshilfe statt Sterbehilfe‘“ und „.... Gespräch auf ausschließlich legaler Grundlage ...“ – neongelb. Denn natürlich hat Peter Puppe sich das Gesetzesvorhaben genauestens angeschaut.

Und klar hat er festgestellt, was danach noch möglich ist, wo die Fehler sind, die Lücken und wo die Gesetzesbegründung in Irrwitz umschlägt. Etwa im „Strafausschließungsgrund für Angehörige und andere dem Suizidwilligen nahestehende Personen“. Damit würde ja eine Adoption die Sterbehilfe legalisieren, oder, im Text ganz ausdrücklich benannt, ein Liebesverhältnis.

Liebesverhältnis schriftlich

Na, „dann habe ich halt ein Liebesverhältnis zu dem Menschen gehabt“, doziert er, „und das würde ich mir auch schriftlich geben lassen“. Und das ist nicht nur ein Umgehungsmanöver, das ist seine Ansicht. „Es ist immer ein Liebesverhältnis“, beharrt er. „Es ist ein Liebesdienst, den ich den Menschen erweise. Und sie empfinden das auch so“, bestimmt er. „Und sie sagen es mir zum großen Teil auch.“

Liebe ist echt schwer dingfest zu machen. Irgendwann hat Niklas Luhmann Liebe mal als „symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium“ bestimmt, das über die Einheit seines Codes die Einheit des Sozialsystems Intimbeziehung mehr behauptet als begründet. Der Liebesbeweis ist dem Großsoziologen zufolge das „Sich Einlassen auf das, was man in den Augen des Anderen ist“. Auch hat er erläutert, wie man sich „dieses Abstimmen in der Beobachtung“, ganz konkret vorstellen muss: „Wenn du es willst, möchte ich es natürlich auch, aber ich möcht’s dir jetzt nicht sagen, weil ich dich dann dazu zwingen würde, es zu machen, auch wenn du eigentlich gar nicht willst – und die Regel war – immer freitags!“

Puppes Liebe hat keinen festen Termin und auch keinen festen Preis. „Ich nehme Geschenke an“, sagt er. „Und ich versteuere sie.“ Eine Summe nennt er nicht, es gibt keine Gebührenordnung. Was er verlangt, sind die Fahrtkosten. Die sind vorab zu überweisen, auf sein Konto, für die weiteste Strecke seien das 680 Euro gewesen, ins Allgäu. Und ganz umsonst ist der Tod auch nicht: „Anfangs hatte ich gesagt“, erzählt Puppe, „geben Sie mir, was Sie für richtig halten, stecken Sie es in einen geschlossenen Umschlag“, und er werde den erst öffnen, wenn alles vorbei ist.

Aber davon ist er abgekommen, man hat ja keine Vorstellung, wie geizig Sterbende so sein können. „Da bin ich“ – er setzt zweimal an, um den Vorwurf zu formulieren: „Da bin ich regelrecht ausgenutzt worden“, er lacht ein wenig in sich hinein und schüttelt den Kopf, und nimmt die Goldrandbrille kurz ab und setzt sie wieder auf. „Seither sage ich den Leuten: Wenn Sie einen letzten Termin mit mir vereinbaren, sagen Sie mir, was ich ihnen wert bin.“ Das sollen die sich überlegen. „Ich handle nicht mit Ihnen“, erklärt Puppe. „Ich sage dann Ja. Oder Nein“. Zu wenig. Oder genug. Leiden. Oder Liebe.

Die neue Gesetzgebung hat schon Folgen, noch bevor sie in Kraft ist. Sie hat für Verunsicherung gesorgt, massiv. Drei Tage nach der Debatte hat Puppe durchgezählt: „Es haben mich 26 alte Kontakte angefragt, ob ich noch ansprechbar sei – wofür auch immer“, berichtet er. Und 72 neue Anfragen seien auch dazugekommen. Das muss er jetzt erst einmal sichten und sortieren. „Für viele Betroffene“ sagt Puppe, „ist es ein Horror.“

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