: Malen in Moll, deuten in Dur
Impro Soundpainting ist eine in New York erfundene Zeichensprache für Livekompositionen, sie umfasst 1.200 Gesten. Das einzige Ensemble in Deutschland, das sie beherrscht, spielt am Sonntag in Neukölln
von Franziska Buhre
Kein Konzert ohne Bewegung: Ob ein Ton durch die Finger, durch ein Instrument in den Händen oder mit ausgestreckten Armen erzeugt wird, ob die Atemluft das Zwerchfell wölbt und die Stimmbänder in Schwingung versetzt oder ein gleichmäßiges Schaukeln des Oberkörpers die Fortführung des musikalischen Ereignisses ermöglicht – wo ein Ton erklingt, ist meist Bewegung sichtbar. Aber selten wird diese als Voraussetzung für Beginn und Entwicklung eines Konzerts auf der Bühne als solche explizit.
Beim Soundpainting ist das anders, hier bedingen die Bewegungen einer einzigen Person das musikalische Geschehen. „Ich versuche, am Anfang eines Konzerts richtig konzentriert und offen zu sein für das, was passiert, wie die Atmosphäre ist und wie das erste Stück beginnen kann“, erzählt Hada Benedito, die 2011 das Berlin Soundpainting Orchestra (BSO) gegründet hat. Es ist das bislang einzige seiner Art in Deutschland.
Benedito hat in ihrer Heimatstadt Valencia klassisches Klavier, Jazz und Neue Musik studiert und entdeckt schließlich, dass Soundpainting ihr Interesse an bildender Kunst mit ihrem musikalischen Lebensentwurf am besten vereint. 2008 besucht sie in Barcelona einen Workshop bei dem New Yorker Komponisten und Erfinder des Soundpaintings, Walter Thompson. Ein Jahr später zieht sie nach Berlin.
Benedito gibt ihr Wissen um Thompsons Zeichensprache für Livekompositionen an andere MusikerInnen weiter, noch bevor dieser sich ihrer Kenntnisse durch eine Prüfung versichert hat. Offiziell bilden er und der französische Komponist François Jeanneau die Multiplikatoren für Soundpainting aus. Thompson unterrichtet Benedito nach einem weiteren Workshop in Paris per Skype und privat; er bestärkt sie darin, mit den 14 MusikerInnen des Orchesters eigene Ideen zu verwirklichen.
Nicht das einzige Verfahren
Thompsons Zeichensprache für die Kommunikation zwischen einer live komponierenden Person und einer Gruppe von MusikerInnen besteht aus bis zu 1.200 Gesten. Das Basisrepertoire aber umfasst lediglich knapp über 100, und in einem Konzert werden weit weniger tatsächlich angezeigt. Ein anderes Verfahren zur Gestaltung von Improvisationen als Livekomposition, die Conduction, wurde von dem afroamerikanischen Komponisten Butch Morris zwar später als Soundpainting entwickelt, international ist es aber weitaus bekannter.
Grundlage für Soundpainting ist die visuelle Übertragung musikalischer Parameter auf den Oberkörper einer Person. Sie agiert mit Armbewegungen im Verhältnis zu bestimmten Regionen des Brustkorbs und zum sie umgebenden Raum. Wenn die Streicher – im BSO sind es vier – angesprochen werden sollen, kreuzt Benedito die Hände am Brustkorb; wenn Schlaginstrumente gemeint sind, zu denen beim Soundpainting auch das Klavier gehört, führt sie die rechte Faust Richtung Herz.
Die Hand als Temporegler
Ist der linke Unterarm vor dem Körper erhoben, wird die rechte Hand zum Regler von Lautstärke und Tempo: Fährt sie quer zum Unterarm nach unten, soll die Musik langsamer werden; mit Zeige- und Mittelfinger zum V für Volume ausgerichtet nach oben bewegt, soll es lauter werden. Für diese Vermittlung von mehr und weniger gibt es auch die Geste mit dem Mittelfinger, die aus dem erweiterten Gestenrepertoire für Schauspieler und Tänzer stammt. Benedito verwendet sie gelegentlich aber gerne, um wilde Absichten der MusikerInnen herauszufordern oder zu bremsen.
Die Hände zum Herz geformt können mehrere MusikerInnen zu Liebe auffordern, das gebrochene Herz zur Trennung. Das Dreieck zwischen beiden Zeigefingern und Daumen gehört zu den wichtigsten Zeichen, es bedeutet: Improvisiere! „Wenn ich alle danach frage, einen langen Ton zu spielen, bekommen das ein paar vielleicht nicht mit, weil sie gerade improvisieren“, beschreibt Benedito eine typische Situation. „Andere reagieren auf ein einfaches Zeichen plötzlich nicht. Beides ist super für die Livekomposition, und auch Fehler sind willkommen.“
Benedito versammelt im BSO MusikerInnen aus Italien, Spanien, Finnland, Griechenland, Frankreich, den USA, Kanada und Japan. Einmal im Jahr fährt sie zum Austausch mit etwa 30 anderen Soundpainters aus aller Welt. Vor Kurzem hat das BSO im fantastisch klingenden Raum des Studioboerne45 in Berlin-Weißensee aufgenommen. Die beste Vorbereitung darauf? Viele Konzerte.
Berlin Soundpainting Orchestra live. So., 15. November, um 17 Uhr im Sowieso Neukölln, Weisestr. 24
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen