piwik no script img

Shopping-Zentrum „Leningrad“ in Minsk„Alle Macht den Kunden!“

Weißrussland ist ein Reservat des Kommunismus. Dazu passt gut, dass in Minsk ein Shopping-Zentrum namens „Leningrad“ eröffnet hat.

7. November, Minsk: alte Helden. Foto: dpa

In dem deutschen Film „Good Bye Lenin“ aus dem Jahre 2003 wird die DDR in einer Plattenbauwohnung vorübergehend „wiederbelebt“, um lebensgefährliche Aufregungen einer Frau zu vermeiden. Sie war aus dem Koma erwacht und hatte von dem Zusammenbruch der DDR noch nichts mitbekommen.

In der ehemaligen Sowjetrepublik Weißrussland braucht man solche Inszenierungen nicht. Hier lebt eine ganze Nation immer noch unter Bedingungen, die an die glorreichen Sowjetzeiten erinnern. So wurde vor einigen Tagen zum Jahrestag der Oktoberrevolution in der weißrussischen Hauptstadt Minsk ein neues Shopping-Zentrum eröffnet. Der Konsumtempel trägt den Namen „Leningrad“ (so hieß Sankt Petersburg zu Sowjetzeiten) und wirbt mit sowjetischer Symbolik.

Das moderne Gebäude aus Stahl und Glas mit einem umfangreichen Möbelangebot auf mehreren Stockwerken befindet sich in der Leninstraße nahe der U-Bahn-Station Proletarskaja. Bei der Eröffnung begrüßte ein Schauspieler in Leninkostüm die ersten Kunden. Das ganze Zentrum war mit roten Fahnen und Plakaten geschmückt. Jungen mit Pionierhalstüchern hämmerten auf Trommeln ein.

Was wohl der echte Lenin dazu sagen würde, dass sein Name für kapitalistische Werbezwecke missbraucht wird? Standen früher auf den Plakaten der Bolschewistischen Partei Parolen wie „Alle Macht den Sowjets!“, so liest man heute im Einkaufszentrum Sprüche wie „Alle Macht den Kunden!“ Der Mix aus neuen Inhalten und alten sowjetischen Formen hat keinen politischen Hintergrund. Die Betreiber des Shopping-Zentrums wollen offensichtlich nicht an die Sowjetnostalgie bei ihren Kunden appellieren. Nein, die Idee ist, die Aufmerksamkeit und Neugierde der Minsker zu wecken.

Die Meinungen der Weißrussen gehen darüber auseinander. „Wann wird diese verdammte Sowjetpropaganda endlich aufhören?“, fragt ein Kommentator zu einem Artikel über die Eröffnung des Zentrums auf dem weißrussischen Portal onliner.by. Ein anderer Leser bemängelt, dass die sowjetische Atmosphäre nicht authentisch sei. Es fehlten leere Regale und garstige Tanten mit Hochsteckfrisuren, die nur widerwillig ihrer Tätigkeit als Verkäuferinnen nachgingen. Andere Kommentatoren finden, dass diese Werbung den aktuellen Zustand des Landes gut widerspiegele.

Lenin verfolgt das Geschehen

Denn Weißrussland, wo Dauerherrscher Alexander Lukaschenko seit 1994 an der Macht ist, wird immer noch als „Reservat des Kommunismus“ bezeichnet. Zu Recht. Ein Ausländer, der nach Weißrussland reisen möchte, erblickt auf seinem Visum ein Wappen, welches dem der ehemaligen Weißrussischen Sowjetischen Republik ähnelt. Dieses Emblem war eigentlich nach dem Zerfall der Sowjetunion abgeschafft, dann allerdings von Präsidenten Lukaschenko (wenn auch mit kleinen Veränderungen) wieder eingeführt worden.

Wenn man mit dem Zug in die weißrussische Hauptstadt Minsk fährt, ist die U-Bahn-Haltestelle Leninplatz die erste Station, die die Gäste am Hauptbahnhof zu Gesicht bekommen. So hieß auch der Platz, der sich in der Nähe befindet, in den 90er Jahren jedoch in den Unabhängigkeitsplatz umbenannt wurde.

Dessen ungeachtet steht hier vor dem Regierungsgebäude ein mehrere Meter hoher Lenin aus Granit auf einem Sockel und verfolgt das Geschehen. Und so sind die guten alten Zeiten in Minsk sowie auch dem Rest des Landes allgegenwärtig. Und deshalb werden die Weißrussen, jedenfalls solange Lukaschenko herrscht, noch lange nicht „Good-bye Lenin“ sagen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!