Regime fallen, Hoffnung wächst. Und dann? Wir haben Menschen aus der ehemaligen DDR, aus Tunesien und der Ukraine gefragt, was aus ihrem Umsturz geworden ist
: Was von der Revolution bleibt

Eine Demonstration in Ostberlin im Dezember 1989, organisiert vom Neuen Forum Foto: Ann-Christine Jansson

Wie es begann: Bei den DDR-Kommunalwahlen im Mai 1989 stellten Wahlbeobachter Betrug fest. Mit dem Beginn der Sommerferien reisten Zehntausende nach Ungarn, wo am 11. September offiziell die Grenze für die DDR-Flüchtlinge geöffnet wurde. Gleichzeitig veröffentlichten Oppositionsgruppen wie das Neue Forum Aufrufe zur Neugestaltung des Landes. Zehntausende unterschrieben sie. In Leipzig begannen die Montagsdemonstrationen. Die Demonstranten riefen: „Wir sind das Volk!“

Wie es ausging: Am 9. Oktober verzichtete die DDR-Führung auf Gewalt gegen die Demonstranten. 70.000 DDR-Bürger zogen schweigend, mit Kerzen in der Hand, durch Leipzig. In den folgenden Wochen wuchsen die Demonstrationen weiter an. Am 9. November trat SED-Sprecher Günther Schabowski mit einem Entwurf des DDR-Ministerrats für eine Ausreise-Übergangsregelung vor die Presse. Mit seinem Versprecher – er sagte, dass das neue Reisegesetz „seiner Kenntnis nach“ „sofort, unverzüglich“ eintrete – leitete er den Mauerfall ein. Die ersten freien Wahlen fanden im März 1990 statt. Am 3. Oktober 1990 wurden die DDR und die Bundesrepublik wiedervereinigt.

Wie es begann: Am 17. De­zember 2010 zündete sich der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi an. Daraufhin breiteten sich Proteste aus – der Beginn des Arabischen Frühlings. Vor allem junge Menschen gingen auf die Straße: gegen Arbeitslosigkeit, hohe Lebensmittelpreise, mangelnde Perspektiven. Diktator Ben Ali sollte gehen, er war seit 1987 an der Macht. Ben Ali verließ am 14. Januar das Land, eine Übergangsregierung wurde gebildet.

Wie es ausging: Bei der ersten freien Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung gewann die islamistische Ennahda Partei. 2013 kam es nach politischen Morden an Oppositionellen zu einer schweren politischen Krise. Zivilgesellschaftliche Organisa­tionen schufen einen nationalen Dialog. 2014 trat die neue Verfassung in Kraft – die liberalste in der arabischen Welt. Béji Caïd Essebsi ist seit Dezember 2014 der erste frei gewählte Präsident Tunesiens. Essebsi gehört der ­sä­kularen Partei Nidaa Tounes an.

Revolution in der Ukraine

Wie es begann: Am 21. November 2013 versammelten sich zum ersten Mal Demonstranten auf dem Maidan in Kiew. Auslöser war die Ankündigung der Regierung unter Wiktor Janukowitsch, das Assoziierungsabkommen mit der EU nicht zu unterzeichnen. Am 30. November wurden Studentenproteste mit Gewalt beendet. Daraufhin gingen Zehntausende auf die Straße, es gab Tote und Verletzte.

Wie es ausging: Das ukrainische Parlament setzte Wiktor Janukowitsch am 22. Februar 2014 ab. Er tauchte unter. Das Parlament wurde neu gewählt. Russland annektierte die Krim, im Osten des Landes herrscht seither Krieg.

Aus Berlin, Tunis und Kiew Anne Fromm, Sandro Lutyens
undDaniel Schulz

Jens Reich, Bürgerrechtler
: Warum haben Sie mitgemacht?

Stadtgericht in Ostberlin, März 1990 Foto: Ali Paczensky

Wir wollten Wahlen, die den Namen verdienten, Schulen, in denen nicht das Diktat von Langeweile und Disziplin herrscht, Medien, die nicht die Staatsdoktrin predigten, und ein Ende der Volksarmee. Mit dem Erstaufruf des Neuen Forums wollten wir vor allem die „Normalbürger“ ermuntern, sich uns anzuschließen, nicht nur die üblichen Politaktivisten der Berliner Blase.

Was war der Moment, in dem Sie dachten: Jetzt mache ich mit?

Ich war schon lange politisch aktiv in Gesprächskreisen, hatte Kontakt zur Solidarność -Bewegung in Polen, stand damit aber nicht in der Öffentlichkeit. An einem Tag im Juni 1989 kamen zwei Frauen zu meinem Grundstück in Spreewerder bei Berlin. Ich kannte sie: Es waren die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley und die Anti-AKW-Aktivisten Erika Drees aus Stendal. Sie wollten einen Verein gründen. Ich fuhr konspirativ zu einem Treffen in der Nähe von Eisenhüttenstadt, wo mir einige der bekannten Bürgerrechtler, Bärbel Bohley, Katja Havemann, Erika Drees und Rolf Henrich, von ihrer Idee erzählten und mich einluden mitzumachen. Wir verabredeten uns für das Gründungstreffen des Neuen Forums: am 9. und 10. September im Haus des verstorbenen Bürgerrechtlers Robert Havemann.

Was haben Sie erreicht?

Die ersten freien Wahlen, Freiheitsrechte, die Deklassierung der Partei – all das, was die Revolutionäre viel früher in Frankreich und den USA auch wollten.

Was haben Sie nicht erreicht?Die verkrusteten Strukturen des Sumpfstaates DDR von unten zu reformieren. Die Wiedervereinigung hatte ich erst einmal noch gar nicht im Blick. Ich hatte gehofft, dass die DDR-Bürger 1989 erst einmal selbst aufräumen: kommunale Vertretungen gründen, die eine Verwaltungsstruktur von unten aufbauen und uns allen eine neue Verfassung geben. Leider war die Mehrheit der DDR-Bürger dagegen und offenbar froh, die Vereinigung und die Wirtschaftsunion an Bonn delegieren zu können. So wurde es ein Prozess von oben. Dagegen wollte ich mich wehren. Aber ich bin Demokrat – wenn das der Mehrheitswille war, muss ich das akzeptieren.

War es überhaupt eine Revolution?

Ja, aber eine neuartige: Erstmals war es eine Revolution des „Mittelalters“. Die vielen Jungen, die sonst Revolutionen führen, waren abgehauen oder auf der Flucht, also blieben Leute wie ich, zwischen 30 und 50. Ich denke, dass der Revolutionsbegriff von Marx noch immer gilt: Eine Revolution ist die Umwälzung der Produktionsverhältnisse und ihre Neuausrichtung auf die veränderten Produktivkräfte. Das passierte 1989, nur ohne eine Trägerklasse dieser Revolution. In der Französischen Revolution hatte das Bürgertum die Umwälzung angestoßen, bei Marx das Proletariat. Die Revolution von 1989 hingegen begann als eine große, anonyme Massenbewegung, die sich zunächst gegen den Ärger vor ihrer Haustür wandte. Die Leute protestierten gegen Umweltverschmutzung in den Seen in ihrer Nachbarschaft, gegen die russischen Überschallflieger, die zu laut über ihre Dächer flogen, gegen das Gift aus den Schornsteinen, dass ihre Luft verpestete. Erst langsam wurde aus diesen spontanen Erhebungen eine politische Kraft. Die großen Demos, wie in Leipzig, hatten für mich dann eher „Petitionscharakter“. Da ging es am Anfang nicht darum, die politische Klasse zu stürzen. Es war eher ein Appell an die Herrschenden, die Diktatur abzuschaffen. Und der Heilsbringer, dem man das zugetraut hat, war Michail Gorbatschow. Deswegen riefen die Demonstranten ja auch „Gorbi, hilf!“.

Waren Sie in Gefahr?

Beruflich musste ich einige Magenschläge einstecken: 1984 bin ich als Abteilungsleiter am Zentralinstitut für Molekularbiologie abberufen worden, weil ich mich weigerte, meine Westkontakte abzubrechen. Ich wurde kaltgestellt. Bedrohlich wurde es aber erst am 21. September 1989, als der Aufruf des Neuen Forums vom Ministerium für Staatssicherheit als verfassungsfeindlich erklärt wurde. Da wussten wir: Jetzt müssten wir eigentlich festgenommen werden. Meine Frau und ich haben dann ein Mandat an einen Rechtsanwalt ausgestellt, damit er im Falle unserer Verhaftung herausfinden kann, wo wir sind. Wir haben verfügt, dass unsere drei Kinder dann bei meinen Schwiegereltern unterkommen könnten – damit sie nicht im Heim landen. Es waren etwa zehn Tage, in denen die Gefahr in der Luft lag.

Würden Sie heute noch einmal mitmachen?

Foto: Anne Fromm

Ja.

Welcher Eindruck wird für Sie für immer mit der Revolution verbunden sein?

Verqualmte kleine Sitzungsräume. Es wurde ja viel geraucht in der Zeit – trotz Umweltbewegung. Eine andere sinnliche Erinnerung ist meine Rede auf dem Alexanderplatz am 4. November. Ich stand auf dem Anhänger eines Lastwagens und schaute in Tausende Gesichter – keine graue, anonyme Masse, sondern viele Einzelne, die mich anschauten und auf meine Rede warteten. Direkt unter mir saßen Leute der Stasi, die immer wieder störten und dazwischenriefen. Aber dieses große Gesichtermeer dahinter werde ich nie vergessen.

Jens Reich,76, studierte Medizin und Molekularbiologie in Berlin, 1980 wurde er Professor für Biomathematik. Als Mitglied des Neuen Forums war er einer der Autoren des Aufrufs „Die Zeit ist reif – Aufbruch 89“. 200.000 DDR-Bürger unterschrieben ihn, obwohl er für verfassungs- und staatsfeindlich erklärt wurde. Nach der Volkskammerwahl am 18. März 1990 war Reich Abgeordneter der einzigen frei gewählten Volkskammer. 1994 wurde er von einer unabhängigen Initiative als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen und durch Bündnis 90/Die Grünen nominiert, unterlag aber in der Bundesversammlung.

Ulrike Poppe, ­Oppositionelle in der DDR
: War es überhaupt eine Revolution?

Foto: privat

Lenin beschreibt eine revolutionäre Situation so: „Wenn die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen.“ So war es im Sommer 89: Die Politik war nicht mehr in der Lage, zu regieren, die Bürger wollten sich nicht mehr unterwerfen. Sie haben einen vollständigen Systemumsturz erzwungen. Das ist eine Revolution.

Was haben Sie erreicht?

Wir haben mehr erreicht, als ich noch im Frühjahr 1989 für möglich gehalten hatte. Unser Ziel seit vielen Jahren war, mit freien Wahlen die Voraussetzung für eine demokratische und die Menschenrechte befördernde Entwicklung zu schaffen. Am Runden Tisch ab Dezember 1989 wurden diese Wahlen vorbereitet. Ein neues Wahlgesetz und ein Parteiengesetz wurden erarbeitet, die Pressefreiheit hergestellt, die Staatssicherheit abgeschafft. Die Wahlen waren für mich der Höhepunkt und zugleich das Ende der Revolution. Das Streben nach Wiedervereinigung war diesen Zielen nachgeordnet.

Wie haben Sie sich persönlich verändert?

Ich habe erlebt, wie etwas ­Unvorstellbares Wirklichkeit wur­de. Diese Erfahrungen haben meine Zuversicht gestärkt, dass sich auch unter verhärteten politischen Verhältnissen immer Menschen finden werden, die die notwendigen Ideen haben und die Kraft aufbringen, eine Veränderung in Gang zu bringen.

Was haben Sie nicht erreicht? Bei aller Freude über das Ende der Diktatur mussten die Ostdeutschen auch einen hohen Preis bezahlen. Es folgten massenhafte Arbeitslosigkeit, Deindustrialisierung, die notwendige Umstellung in fast allen Lebensbereichen in kurzer Zeit. Damit fühlten sich viele im Osten überfordert. Die Abwanderung von Ost nach West hielt auch nach den Wahlen noch an, die DDR war bankrott, und niemand wusste, wie lange sich noch der gute Wille zur deutschen Wiedervereinigung in Moskau halten konnte. Damit war ein Zeitdruck entstanden, der eine schnelle Einheit als Anschluss begünstigte. Die zentrale Forderung der Revolution nach Selbstbestimmung, die sich so wunderbar in dem Slogan „Wir sind das Volk“ ausgedrückt hatte, geriet im Zuge des Vereinigungsprozesses zur Anpassung.

Warum haben Sie mitgemacht?

Ich bin in der Nähe der Grenze zu Westberlin aufgewachsen und erfuhr von dem Leid getrennter Familien, von Fluchtversuchen und Verhaftungen. Auch spürte ich die Angst in meinem Umfeld, bestimmte Wahrheiten laut auszusprechen. Später, als Geschichtsstudentin, empörte es mich, dass uns Kapitel der Geschichte vorenthalten oder verfälscht wurden, dass Geschichte zur Propaganda aufbereitet wurde und man versuchte, uns von allem fernzuhalten, was nicht in das „parteiliche“ Weltbild passte. Ich erfuhr, dass ältere Geschichtsstudenten relegiert und zu Haftstrafen verurteilt wurden, weil sie sich Fachliteratur aus dem Westen besorgt hatten.

Waren Sie in Gefahr?

Ich bin im Dezember 1983 festgenommen worden. Damit sollte die damals sehr aktive Frauengruppe „Frauen für den Frieden“ zerschlagen werden. Es war ein Montagmorgen, ich war mit meinen Kindern beim Arzt, und als ich aus der Poliklinik trat, wurde ich von der Stasi erwartet. Ich wurde des Landesverrats beschuldigt, verhört und kam ins Untersuchungsgefängnis nach Hohenschönhausen. Nach sechs Wochen kam ich frei, weil es gegen unsere Inhaftierung massiven Protest von Politikern und Journalisten im In- und Ausland gab. Danach wusste ich, ich habe nichts mehr zu verlieren. Ich hätte gern noch studiert, aber die Hoffnung musste ich aufgeben. Noch bedrückender aber war, dass wir damit rechnen mussten, dass auch unsere Kinder nicht zum Abitur zugelassen werden. So weit kam es zum Glück nicht – als sie in dem Alter waren, stand die Mauer nicht mehr.

Welcher Eindruck wird für Sie für immer mit der Revolution verbunden sein?

Dieses Grau des Ostens: Von den Häusern bröckelte der Putz, die Balkone an den Häusern waren abgebrochen, es roch nach Braunkohleöfen. Als ich das erste Mal mit der S-Bahn nach Westberlin fuhr, erlebte ich dort alles als sehr bunt, trubelig, lebendig, freundlich. In der U-Bahn roch es nach Seife und Parfum, wie im Intershop.

Würden sie heute noch einmal mitmachen?

Ja.

Ulrike Poppe,62 Jahre alt, gründete 1982 das Netzwerk Frauen für Frieden. 1983 wurde sie wegen „Verdachts auf landesverräterische Nachrichtenübermittlung“ verhaftet und für sechs Wochen in die Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen gebracht. 1986 war sie Gründungsmitglied der Initiative Frieden und Menschenrechte, 1989 der Bürgerbewegung Demokratie Jetzt. Seit 2010 ist sie Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Geschichte der kommunistischen Diktatur.

Ruth Misselwitz, Pfarrerin
: Welcher Eindruck wird für Sie für immer mit der Revolution verbunden sein?

Dieser November war kalt und nass – aber überall leuchteten die Kerzen der Demonstranten.

Warum haben Sie mitgemacht?

Ich komme aus einem evangelischen Pfarrhaus. Die Bibel war für mich schon immer mehr als nur eine Handreichung für ein gutes Privatleben, ich verstehe sie gesellschaftspolitisch. Durch Deutschland ging die feindliche Trennlinie zwischen Ost und West – auf beiden Seiten sollten atomare Mittelstreckenraketen stationiert werden, hier würde der Krieg beginnen. Ich wollte nicht, dass unsere Kinder in so einer hochgerüsteten, bedrohten Welt aufwachsen, und beschloss, nicht wie das Kaninchen vor der Schlange der Bedrohung entgegenzublicken, sondern etwas zu tun, für die Abrüstung zu kämpfen, aber auch gegen die globale Ungerechtigkeit und die Armut in der Welt. Im Oktober gründete ich gemeinsam mit meinem Mann und Freunden den Friedenskreis Pankow. Ich habe mich nie als Revolutionärin gesehen. Ich war immer in erster Linie Christin, mein politisches Engagement folgte aus diesem Glauben.

Was haben Sie erreicht?

Das DDR-Volk ist auf die Straße gegangen und hat gerufen: „Wir sind das Volk!“ Es hat sich emanzipiert, nach 40 Jahren Bevormundung. Wir haben demokratische freie Wahlen durchgeführt und eine eigene Regierung gewählt. Wir haben den aufrechten Gang gelernt. Wer das miterlebt hat, wird das nicht wieder vergessen.

Was haben Sie nicht erreicht? Wir wollten weder die alte DDR behalten noch den Anschluss an die BRD. Wir wollten einen dritten Weg: eine gerechte, soziale, demokratische DDR. Wir wollten eine eigene Regierung stellen, das Land und eine so­ziale Marktwirtschaft selbst aufbauen – als Alternative zum Kapitalismus. Dieses Vorhaben ist mit der raschen Wiedervereinigung nicht gelungen. Aber wenn ich mir die heutige Weltsituation ansehe, die Finanz- und Wirtschaftskrisen, die Kriege in der Welt und die vielen Flüchtlinge, dann weiß ich, dass wir dringend eine Alternative zu dem zerstörerischen kapitalistischen Wirtschaftssystem brauchen.

War es überhaupt eine Revolution?

Ja, eine friedliche. Wenn es eine Sache gibt, auf die ich stolz bin, dann darauf, dass wir es ohne Blutvergießen geschafft haben.

Waren Sie in Gefahr?

Mit meinem Mann waren wir uns einig: Ausreisen kommt nicht infrage – aber sobald unsere Kinder unter unserem Engagement leiden würden, müssten wir uns überlegen, wie es weitergeht. Der Friedenskreis war durchdrungen von der Stasi. Anfang der Achtziger bekamen wir regelmäßig Besuch von jungen Männern, die vorgaben, am Kreis mitwirken zu wollen. Wir haben sie gleich erkannt: Im Gegensatz zu „unseren“ Leuten hatten sie kurze Haare und immer die gleichen Parkas an. Jeder von ihnen hat sich als „Lutz“ vorgestellt, deswegen nannten wir sie die „Lutzis“. Wir standen also unter Beobachtung, das war ja nichts Neues.

Würden Sie heute noch einmal mitmachen?

Ja, wenn ich die Methoden und Ziele mit meinem christlichen Glauben und der Botschaft des Evangeliums vereinbaren könnte.

Welches Gefühl bleibt von der Revolution?

Aufbruchstimmung, Kreativität, Humor und ein großes Gemeinschaftsgefühl. Nach der jahrelangen Agonie und Depression nahmen wir für ein paar Monate im Herbst 89 die Geschicke unseres Landes selbst in die Hand. Aber neben all der Freude auch Enttäuschung darüber, dass uns die Chance verwehrt wurde, den dritten Weg zu verfolgen. Die DDR-Bürger, die nach 89 in den Parteien versucht haben, eine demokratische Gesellschaft aufzubauen, sind schnell als Laien verlacht und durch westdeutsche Politiker ersetzt worden. Die Treuhand hat das Land verkauft, und die Ostdeutschen wurden unter den generellen Verdacht der Mittäterschaft und Duckmäuserei gestellt.

Ruth Misselwitz,63, in Zützen bei Luckau geboren, ist seit 1981 Pfarrerin in Berlin-Pankow. Ebenfalls 1981 war sie Mitgründerin des Pankower Friedenskreises. 1989 leitete sie mit zwei weiteren Kollegen den Runden Tisch in Pankow. Der Friedenskreis setzte sich für Friedenspolitik, Abrüstung, Friedenserziehung und Umweltschutz ein. Er existiert bis heute.

Lina Ben Mhenni,Bloggerin
: Was haben Sie erreicht?

Nahe dem tunesischen Parlament: junge Männer, die während der Revolution starben Foto: Mads Nissen/laif

Wir haben es geschafft, die Angst zu brechen. Die Tunesier wagen es heute, ihre Meinung zu sagen.

Wie haben Sie sich persönlich verändert?

Ich bin realistischer geworden. Ich habe meine Hoffnung, meine Träume noch, aber jetzt bin ich geduldig. Mein Privatleben ist auch anders: Weil ich bedroht wurde, bin ich nur mit Bodyguards unterwegs. Ich habe mich für unsere Freiheit eingesetzt, und ich habe Teile meiner eigenen Freiheit verloren.

Warum haben Sie mitgemacht?

Weil ich fühlte, da passiert was Großes. Als die Revolution begann, war ich in einer Gruppe engagierter Blogger. Da war es nur logisch, mitzumachen.

Was war der Moment, in dem Sie dachten: Jetzt mache ich mit?

Seit Jahren wollte ich unseren Diktator Ben Ali gehen sehen. Als ich Bilder von Mohamed Bouazizi sah, der sich selbst verbrannte,und dann merkte, wie die Menschen reagierten, fing ich an, alles zu verfolgen. Ich war vom ersten Tag an dabei.

Was haben Sie nicht erreicht?

Die Ziele der Revolution. Unser Motto war „Arbeit, Freiheit und Würde“. Die Arbeitslosigkeit ist gewachsen, wir sehen Verstöße gegen die Menschenrechte, Fälle von Folter und ungestrafter Polizeigewalt. Aber am schlimmsten ist die enttäuschte Jugend. Die Mehrheit hat den Kampf aufgegeben, einige haben ihr Glück im Mittelmeer gesucht, andere wurden in den Dschihad getrieben.

War es überhaupt eine Revolution?

Es ist ein revolutionärer Prozess, mit Höhen und Tiefen. Der Kampf geht weiter.

Welcher Eindruck wird für Sie für immer mit der Revolution verbunden sein?

Der Geruch des Tränengases. Es war überall.

Waren Sie in Gefahr?

Foto: Kathrin Faltermeier

Ich habe scharfe Munition gesehen. Das war ziemlich gefährlich. Und ich habe Drohungen bekommen. So habe ich auch meine Familie in Gefahr gebracht.

Würden Sie heute noch einmal mitmachen?

Ja, ich bereue nichts.

Welches Gefühl bleibt von der Revolution?

Ich habe das Gefühl, die Revolution wurde gekapert. Manche trauern Ben Ali nach. Ich nicht. Sein System hat unsere Kritikfähigkeit zerschlagen. Heute zahlen wir dafür.

Lina Ben Mhenniist 32 Jahre alt, sie fing 2007 an zu bloggen. Sie gehört einer Gruppe von Bloggern an, die sich für Meinungsfreiheit und Menschen­rechte einsetzt. Ihr Blog „A Tunisian Girl“ wurde während Ben Alis Diktatur zensiert. 2011 veröffentlichte sie das Buch „Vernetzt Euch“. Im selben Jahr wurde sie für den Friedensnobelpreis nominiert. Sie ist Dozentin für Linguistik.

Jahwar Ben Mbarek, Gründer der NGO Doustourna
: Was haben Sie nicht erreicht?

„Es lebe das Volk“ – im Zentrum von Tunis Foto: Nicolò Degiorgis/laif

Die politische Klasse und die Intellektuellen haben den historischen Moment nicht genutzt. Sie waren auf institutionelle Reformen fixiert. Dabei hätten sie vom Elan der Tunesier profitieren können, um gesellschaftlich und wirtschaftlich etwas zu ändern. So hätte das Volk spüren können, wie Demokratie ihren Alltag beeinflusst. Heute denken die Tunesier, Demokratie ändere nichts für sie, so als ob der Wandel sie nicht beträfe.

Was haben Sie erreicht?

Vieles! Wir haben uns von der herrschenden Familie befreit. Früher schien alles bewegungslos. Die Ergebnisse fehlen noch, aber es gibt Möglichkeiten.

Welcher Eindruck wird für Sie für immer mit der Revolution verbunden sein?

Der Geruch von Gas. Auch nach der Revolution konnte ich ihn nicht vergessen. Dieselben Szenen. Es ist noch nicht zu Ende.

Warum haben Sie mitgemacht?

Die Revolution war unsere Gelegenheit, zu sagen: „Wir wollen nicht mehr!“ Ich war aber auch schon vorher in linken Gruppen und Gewerkschaften aktiv. Nachdem die Aufstände die großen Städte erreicht hatten, war ich sofort dabei. Mittendrin bei den Auseinandersetzungen mit den Ordnungskräften. Ich war übrigens erstaunt darüber, wie gut die jungen Leute organisiert waren, beim Zerbrechen von Steinen, beim Barrikadenbau.

Was war der Moment, in dem Sie dachten: Jetzt mache ich mit?Anfang Januar 2011 haben wir gemerkt, wie sich die Demonstrationen ausweiteten. Der Aufstand war nicht mehr nur re­gio­nal, es betraf jeden. Das war der Moment, in dem die Mittelschicht und die Intellektuellen die Situation verstanden und sich engagiert haben.

War es überhaupt eine Revolution?

Ja. Der Beweis dafür ist, dass es weitergeht. Es gibt kein Modell für Revolutionen. Manche wirkten sich erst ein Jahrhundert später aus. Eine Auswertung wäre also verfrüht. In 20 Jahren vielleicht … Wie auch immer: Es ist heute definitiv anders als 2010.

Welches Gefühl bleibt von der Revolution?

Am Anfang waren alle Träume erlaubt. Davon ist nicht viel übrig. Jetzt ist es ein Kampf, sehr viel weniger romantisch. Das ist traurig, aber ich denke, es muss so sein. Und man versteht jetzt besser, dass eine Revolution Zeit braucht.

Foto: Kathrin Faltermeier

Waren Sie in Gefahr?

Ein guter Freund ist neben mir gestorben. Er hatte Asthma. Wir waren auf Demos, wo immer viel Tränengas in der Luft lag. Er ist praktisch auf der Stelle erstickt. Ja, wir sind Risiken eingegangen.

Würden Sie heute noch einmal mitmachen?

Ja, ich würde keine Sekunde zögern.

Jawhar Ben Mbarek,47, gründete die Nichtregierungsorganisation Doustourna – Unsere Verfassung. Er ist Professor für Verfassungsrecht an der Manouba-Universität in Tunis.

Leila Toubel, Schauspielerin
: Was war der Moment, in dem Sie dachten: Jetzt mache ich mit?

Foto: Kathrin Faltermeier

Als die ersten Märtyrer gestorben sind, mit den ersten Bluttropfen. Es war zu viel. Auch ich wollte diese Unterdrückungsmaschine bekämpfen.

War es überhaupt eine Revolution?

Ja. Sich von einem Diktator zu befreien, ist eine Revolution. Und die Revolution geht immer noch weiter. Manche sagen, es war ein Coup oder eine internationale Verschwörung. Das denke ich nicht. Die Revolution hat stattgefunden, weil der Zorn seinen Höhepunkt erreichte. Zu behaupten, dass es keine Revolution war, ist eine Beleidigung für das tunesische Volk.

Warum haben Sie mitgemacht?

Ich wollte diesen historischen Moment nicht verpassen. Es ging darum, für die Freiheiten zu kämpfen, die uns so lange genommen wurden. Da konnte ich nicht vor meinem Fernseher sitzen bleiben. Also bin ich raus auf die Straße, um mit den jungen Leuten, die alles satt hatten, die am System erstickten, zu demonstrieren.

Was haben Sie erreicht?

Wir haben einen Diktator weggefegt! Und wir sind alle Bürger geworden. Nie zuvor haben wir uns so gefühlt. Jetzt haben wir Rechte, Freiheiten. Und Hoffnung auf Wandel.

Was haben Sie nicht erreicht?

Wir sind die nächste Etappe nicht angegangen, wirkliche Reformen. Stattdessen mussten wir einen mühsamen Kampf gegen die Islamisten führen. Als wir nach drei Jahren endlich etwas aufbauen wollten, war schon viel Schaden angerichtet. Deshalb sind die Leute auch ernüchtert.

Würden Sie heute noch einmal mitmachen?

Ja, mit derselben Liebe. Die Menschen auf der Straße, sie dachten nicht nur an sich selbst. Sie dachten auch an das, was sie für andere tun können.

Welches Gefühl bleibt von der Revolution?

Was ich noch am meisten fühle ist Wut. Sie ist noch da, weil wir nicht alles erreicht haben. Noch wütend zu sein ist wichtig, um dahin zu kommen, wo wir hin wollen.

Waren Sie in Gefahr?

Ich bin weit gegangen, ich war bereit zu sterben. Ich wollte diese Revolution unbedingt erleben, so intensiv wie möglich.

Welcher Eindruck wird für Sie für immer mit der Revolution verbunden sein?

Das Bild der schönsten Choreografie meines Lebens. Sie gelang ohne Choreografen. Wir waren alle elegante Tänzer, die mit der gleichen Handbewegung dem Diktator Ben Ali „Dégage!“ – „Hau ab!“ entgegenschrien.

Leila Toubelist 53, sie hat ihre erste Theatererfahrung mit 13 gemacht. Zwei Jahre vor der Revolution inszenierte und spielte sie das Stück „The End“, in dem sie die Unterdrückung durch das Regime Ben Alis beschreibt. Ihr Stück „Solwen“ handelt von der Ernüchterung nach der Revolution.

Iuliia Bezvershenko, Physikerin
: Würden Sie wieder mitmachen?

Wer sind hier die Patrioten? Kiew im November 2013 Foto: Konstantin Chernichkin

Ja, natürlich. Ich bin gerade schwanger und würde an mein Kind denken und an meinen Mann. Nach dem Maidan habe ich versucht, wieder mein normales Leben zu führen. Es ging nicht. Im Sommer haben mein Mann und ich dann entschieden, dass wir zu einer Militärbasis in Kiew gehen, um zu lernen, wie man schießt und sich verteidigt.

War es überhaupt eine Revolution?

Ja, denn wir können nicht mehr zurück. Weder die Aktivisten noch die Politiker. Schon die Orangene Revolution war so ein Punkt in der Geschichte, und unsere Politiker wissen, dass es eine dritte Revolution geben kann. Die zweite Revolution war schon härter als die erste. Bei einer dritten könnte es nicht mehr nur um die Häuser und Konten der Politiker gehen, sondern um ihr Leben.

Warum haben Sie mitgemacht?

Ich war schon bei der Orangenen Revolution 2004 dabei. Also musste ich auch dieses Mal mitmachen. Nachdem Janukowitsch das Abkommen zur Assoziierung mit der Europäischen Union nicht unterschrieben hatte, wurde bekannt, dass die Polizei am 30. November Studenten verprügelt hatte. Da haben wir am nächsten Tag alle gewusst, dass wir in einem anderen Land aufgewacht sind. In einem Land, in dem die Regierung sich jeden vornehmen kann, der nicht ihrer Meinung ist.

Was war der Moment, in dem Sie dachten: Jetzt mache ich mit?

An diesem 30. November hatte ich das Gefühl, meine Welt könnte zugrunde gehen. Am nächsten Tag ging ich auf den Maidan, es war die größte Menschenmasse, die ich jemals gesehen habe, so viele Leute bewegten sich auf den Platz zu. Seitdem habe ich immer das Gefühl: Lasst uns etwas tun, lasst uns bitte nicht nur herumsitzen.

Was haben Sie erreicht?

Dank dem Maidan gibt es so etwas wie eine Zivilgesellschaft in der Ukraine. Aber sie ist noch ein Embryo, ein Baby. In den Köpfen der Menschen hat sich viel geändert. Heute gibt es ein Wir. Die Leute können Verantwortung übernehmen, und sie tun das auch. Das gab es früher nicht.

Was haben Sie nicht erreicht?

Auf dem Maidan fühlte es sich so an, als wären da Millionen von uns. Aber als es vorbei war, habe ich verstanden, dass vielleicht nur einer von hundert Menschen in der Ukraine dabei war. Wir dachten, dass es bald Reformen geben, dass die Regierung komplett ausgetauscht werden würde. Das ist nicht passiert. Es gibt auch keine wirkliche Zusammenarbeit mit den USA und Europa. Die Regierung hat sich wieder in ihrem Haus eingerichtet und ängstlich die Tür verbarrikadiert.

Welcher Eindruck wird für Sie für immer mit der Revolution verbunden sein?

Die Straßen ohne Pflaster. Sie wurden aufgerissen für Barrikaden, für Wurfgeschosse.

Wie haben Sie sich persönlich verändert?

Foto: Ieli Zaveta Smith

Heute will ich die Realität verändern, vor dem Maidan hätte ich erwartet, dass jemand das für mich macht. Heute will ich etwas für viele Menschen bessern, nicht nur für die, die mir nahe sind, und für mich selbst.

Waren Sie in Gefahr?

Nein. Für meine Eltern wäre es schrecklich gewesen, wenn ich mich in Gefahr begeben hätte, also ging ich in solchen Momenten nach Hause. Ich habe versucht, jeden Tag Zeit auf dem Maidan zu verbringen, habe Essen gemacht und gespendet. Es gab auf dem Maidan auch ein Zelt der Wissenschaft. Da war ich tagsüber, damit die anderen mal schlafen konnten. Es war eine sehr seltsame Zeit. Du hast Angst um dein Leben, aber die Angst, dass der Maidan aufhören könnte, dass sie die Leute umbringen, die du liebst, dass die anderen gewinnen, diese Angst ist sehr viel größer.

Welches Gefühl bleibt von der Revolution?

Nach der Orangenen Revolution blieb ein Gefühl von Euphorie. Nach der zweiten Revolution ist es anders. Das bestimmende Gefühl ist, dass wir Menschen verloren haben, Menschen, die wir lieben. Ein Gefühl der Leere. Auch Schmerz. Und ein Gefühl der Verantwortung gegenüber all denen, die für uns gestorben sind.

Iuliia Bezvershenko,28, ist Quantenphysikerin und arbeitet für das Bildungs- und Wissenschaftsministerium an Reformen.

Volodymyr Nebir, Student bei der Armee
: Waren Sie in Gefahr?

Foto: privat

Ich wurde auf dem Maidan von Splittern von Gasgranaten verletzt, die Polizei hatte sie mit Metallteilen versehen. Während der Unruhen im Februar wurde ich mit Tränengas vergiftet und dem Rauch der brennenden Reifen, ich hatte Verbrennungen an den Händen. Es gab Momente, in denen mein Gehirn einfach ausgesetzt hat und ich einfach nur immer weitergemacht habe.

Warum haben Sie mitgemacht?

Ich will Offizier werden, mein Großvater hat als Rebell gegen die Sowjetunion gekämpft. Schon immer war das der Feind. Als ich studierte, wurde das Feuer in mir größer. Ich wollte nicht dasselbe erleben wie mein Großvater. Viele meiner Verwandten waren damals in Lagern in Sibirien. Ich tat, was mein Herz mir sagte. Das System konnte ich nicht mehr ertragen, obwohl ich geschworen hatte, dem Land zu dienen.

Was war der Moment, in dem Sie dachten: Jetzt mache ich mit?

Mein älterer Bruder war von Anfang an dabei, aber mir war zuerst nicht klar, was ich am Maidan genau tun sollte. Als ich das erste Mal da war, war ich sehr überrascht, dass die Leute Medikamente, Essen und Kleidung brachten. Es gab da einen großen Zusammenhalt. Wie ein kleiner Staat. Dann las ich immer mehr. Später habe ich beim medizinischen Zentrum gearbeitet. Ich habe nie gekämpft, auch wenn ich hin und wieder den Drang spürte, auch Molotowcocktails zu werfen.

Welcher Eindruck wird für Sie für immer mit der Revolution verbunden sein?

Der Rauch auf dem Maidan. Im Januar 2015 habe ich am Flughafen von Donezk gekämpft. Dort sind viele Menschen gestorben. Ich habe getötet. Es lag Chemie in der Luft. Und Rauch. Er verbindet den Krieg mit der Revolution auf dem Maidan.

Was haben Sie erreicht?

Das Hauptziel war, dass Janu­ko­witsch und sein Regime endlich verschwinden. Das haben wir geschafft, also hat die Revolution geklappt. Manche Befürworter des alten Regimes sitzen vielleicht noch in der Regierung, aber sie haben Angst. Ihre Zeit läuft ab. Das ist gut so. Das Wichtigste ist, dass die Leute jetzt wissen, dass sie aus ihrem Gefängnis ausbrechen können, ihrem Gefängnis des Denkens.

Was haben Sie nicht erreicht?

Ich sehe nichts Negatives an dieser Revolution, außer dass Menschen starben natürlich. Aber sie starben für etwas Wichtiges. Natürlich kann nicht alles plötzlich gut sein, nur weil Janukowitsch weg ist. Es braucht Zeit, einen Staat zu verändern. Es gibt Leute, die jetzt schon wieder einen neuen Maidan wollen. Ich weiß nicht, was sie antreibt, vielleicht sind es Saboteure Moskaus.

War es überhaupt eine Revolution?

Ja, wir haben erreicht, was wir wollten.

Wie haben Sie sich persönlich verändert?

Ich habe gelernt, dass ich etwas verändern kann. Das schien mir früher unmöglich. Außerdem hat mich der Patriotismus der Leute auf dem Maidan in­spi­riert, und das, obwohl ich ja schon immer ein Patriot war. Danach bin ich in den Osten gefahren, um dort mein Land zu verteidigen.

Welches Gefühl bleibt von der Revolution?

Ich bin glücklich und stolz da­rauf, dass ich ein Teil davon war, dass ich Menschenleben gerettet habe.

Volodymyr Nebirist 23 Jahre alt, er studiert Geoinformatiksysteme und Technologie bei der Armee der Ukraine. Er will Offizier werden.

Alexandra Dworetskaja, Aktivistin
: Wie haben Sie sich persönlich verändert?

Eine Rose für die Revolution, Kiew im November 2013 Foto: Gleb Garanich/reuters

Ich stelle das, was ich tue, nicht mehr infrage. Ich weiß jetzt, dass viel geändert werden kann.

Was haben Sie erreicht?

Ich gehöre nicht zu den Enttäuschten. Es war anfangs eine gute Sache, und was aus ihr wird, kann man jetzt noch nicht sagen. Das geht erst, wenn der Krieg vorbei ist. Aber die Leute werden das, was auf dem Maidan passiert ist, nicht vergessen. Wir wissen jetzt, dass jeder etwas tun kann, dass es einen großen Zusammenhalt gibt zwischen Leuten, die gar nichts voneinander wussten.

Warum haben Sie mitgemacht?

Weil klar wurde, dass wir zu wenig tun. Auch wir Aktivisten. Wir konnten nicht länger nur einmal die Woche Gutes tun. Wir wollten Verantwortung übernehmen für das, was im Land passiert. Sie durften uns nicht weiter anlügen. Außerdem war es cool, Teil von etwas Großem zu sein. Ich war vom ersten bis zum letzten Tag die meiste Zeit da, zwischendurch war ich zu Hause. Ich komme von der Krim. Dort, in Simferopol, habe ich auch eine Art Maidan organisiert. Auch in Luhansk gab es einen.

Was war der Moment, in dem Sie dachten: Jetzt mache ich mit?

Nicht mitzumachen war keine Option. Ich ging mit meinem Mann sofort auf den Platz, es regnete. Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass alles einem Drehbuch folgt, das von uns allen geschrieben wurde, nicht von jemand anderem.

Was haben Sie nicht erreicht?

Die Wahlen am 26. Oktober haben gezeigt, dass viele immer noch nicht wissen, wie wichtig ihre Stimme ist. In Charkiw hat einer aus der Partei der Regionen gewonnen, zu der auch Janukowitsch gehörte und die Tituschki, die gegen die Leute auf dem Maidan kämpften. Außerdem kümmern sich viele immer noch nur um sich selbst.

War es überhaupt eine Revolution?

Foto: privat

Ja. Eine neue Elite hat zwar die alte ersetzt. Aber niemand kann so tun, als sei nichts geschehen. In den Köpfen der Leute gab es eine Revolution. Unsere Revolution ist anders, wir haben Krieg und einen sehr mächtigen Nachbarn, und trotzdem haben wir etwas geschafft.

Waren Sie in Gefahr?

In der Nähe des Hauses meiner Eltern, in einem Dorf auf der Krim, wurden verschiedene Diffamierungen an die Wand gekritzelt, sie bekamen auch Briefe mit Lügen über mich, die den Anschein erwecken sollten, meine Freunde hätten sie geschickt. Ich bin nicht in Gefahr, aber ich kann nicht in meine Heimat, auf die Krim. Meine ganze Familie ist dort, meine Großmutter könnte bald sterben. Wenn ich sie besuchen fahren würde, käme ich wahrscheinlich ins Gefängnis.

Alexandra Dworetskajaist eine Menschenrechtsaktivistin aus Simferopol. Sie versucht, mit einem Gesetzentwurf, das Leben der Krim-Flüchtlinge zu erleichtern.