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Michael Fürst über Antisemitismus„Man muss das genau beobachten“

Ein jüdischer Friedhof wurde geschändet – wohl von Rechten. Einige fürchten nun, dass mit den Flüchtlingen der Antisemitismus zunimmt. Der Chef des jüdischen Gemeindeverbands Niedersachsen nicht

Ungeschändete Gräber auf dem jüdischen Friedhof an der Stangenriede in Hannover: Einige jüdische Gemeinden haben Angst vor zunehmendem Antisemitismus. Foto: Peter Steffen/dpa Foto: Peter Steffen/dpa
Interview von Petra Schellen

taz: Herr Fürst, kürzlich wurde Hannovers jüdischer Friedhof Strangriede geschändet, wohl von Rechten. Ist zu befürchten, dass künftig antisemitische Muslime so etwas tun? Die liberale jüdische Gemeinde Hannover befürchtet das.

Michael Fürst: Ich glaube nicht. Muslimen sind Friedhöfe ebenso wichtig wie uns. Das Schänden von Friedhöfen hat mehr europäische „Tradition „ und Unsitte. Grundsätzlich nehmen wir die Möglichkeit eines importierten Antisemitismus allerdings durchaus ernst. Es gibt aber Gemeinden, die das aus meiner Sicht übertreiben. Ich muss nicht so tun, als ob ich ständig bedroht werde. Die jüdischen Gemeinden werden nicht bedroht. Aber natürlich: Wir haben Antisemitismus in Deutschland, wir haben Antisemitismus in anderen europäischen Ländern, und wir haben durch den derzeitigen Zuzug von vielen Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten jetzt sicherlich eine Situation, die man im Auge behalten muss.

Wie soll das konkret vor sich gehen?

Ich erwarte von den Sicherheitsbehörden, dass sie die zuziehenden Menschen überprüfen und beobachten, ob dort ein neuer Antisemitismus entsteht.

Der geschändete Friedhof

Eingerichtet wurde der Friedhof an der Strangriede mit 3.500 Gräbern 1864 als zweiter jüdischer Friedhof Hannovers.

Ab September 1941 pferchten die Nazis in der Predigthalle und in dem nebenstehendem Wohnhaus rund 100 Juden zusammen, von denen später etliche ins Rigaer Ghetto und ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurden.

Geschändet wurde der nicht öffentlich zugängliche Friedhof zwischen dem 2. und 6. November 2015. Unbekannte beschädigten die Bleiverglasung der Predigthalle, beschmutzen ein Hauptgrab mit einer blauen, zähen Flüssigkeit und beschmierten ein kleineres Nebengrab mit einem weißen Hakenkreuz. Die Kriminalpolizei geht von einer rechtsmotivierten Tat aus.

Privat
Im Interview: Michael Fürst

68,Jurist, ist seit 1980 Landesvorsitzender des jüdischen Gemeindeverbands Niedersachsen.

Wie soll man Flüchtlinge auf Antisemitismus überprüfen?

Das ist natürlich nicht möglich. Es geht vielmehr darum zu beobachten, wie sich das entwickelt: Wie gehen die zuständigen muslimischen Verbände mit den Flüchtlingen um? Können sie integriert werden, kommen sie in bestehende Strukturen hinein? Wie wird ihnen beigebracht, dass sich das hiesige soziale System von dem ihrer Herkunftsländer unterscheidet?

Wie gehen jüdische Gemeinden derzeit mit Flüchtlingen um?

Die jüdischen Gemeinden bestehen heute überwiegend aus russischen Kontingentflüchtlingen, und ihre Haltung hängt auch vom jeweiligen Gemeindevorstand ab. Ich plädiere dafür, die Menschen zu beruhigen und ihnen mitzuteilen, dass wir ständig im Gespräch mit Polizei und Sicherheitsbehörden sind, die uns glaubhaft versichern, dass derzeit keine akute Bedrohung besteht.

Wie viele jüdische Gemeinden engagieren sich zurzeit in der Flüchtlingshilfe?

Derzeit weiß ich von keiner, aber das kann sich ändern: Die Stadt Hannover überlegt, eventuell eine Flüchtlingsunterkunft in die Nähe unserer jüdischen Gemeinde zu setzen. Das würden wir zum Anlass nehmen, diese Flüchtlinge zu uns einzuladen.

Wird das in den ängstlichen jüdischen Gemeinden funktionieren?

Wir haben keine ängstlichen jüdischen Gemeinden. Wir als Vorstände müssen aber darauf achten, dass die sich abzeichnenden muslimischen Mehrheiten in die richtige Spur gelenkt werden. In eine nicht-antisemitische Spur. Denn viele kommen aus Ländern, in denen der Antisemitismus „Staatsdoktrin“ ist.

In welchen arabischen Ländern ist Antisemitismus besonders verbreitet?

Ich möchte da keine Länder herausgreifen. Es gibt auch in nicht-arabischen Ländern Antisemitismus – etwa im Süden und Osten der Türkei. Und auch bei hiesigen jungen Türken.

Können Sie da gegensteuern?

Wir versuchen es, indem wir unsere dortigen Gesprächspartner darauf hinweisen, dass sie sich intensiver mit dieser Problematik befassen müssen. Das haben sie über Jahre hinweg versäumt, aber jetzt steuern sie gegen.

Sie stehen im Dialog mit muslimischen Verbänden?

Ja, ich treffe die Vorstände von Schura und Ditib und der palästinensischen Gemeinde Hannover regelmäßig. Wir haben Veranstaltungen wie „Gemeinsam gegen Rechts“ und Gesprächsrunden über palästinensische Vertreibungserfahrungen durchgeführt.

Gibt es eigentlich auch einen jüdischen Antiislamismus?

Das würde ich nicht leugnen wollen. Es gibt auch unter Juden vereinzelt einen unreflektierten Antiislamismus, den man im Auge behalten muss.

Was tun Sie dagegen?

Wir weisen unsere Mitglieder auf interreligiöse Veranstaltungen wie die eben genannten hin. Da unsere jüdischen Gemeinden aber zu 90 Prozent russischsprachig sind und besonders Ältere oft kaum deutsch sprechen, sind sie oft schwer zu erreichen.

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3 Kommentare

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  • Wieso sollten ausgerechnet die muslimischen Verbände zuständig sein für die Flüchtlinge, die derzeit aus dem Nahen und Mittleren Osten nach Europa kommen?

     

    Ich denke, diese Menschen müssen in erster Linie in die deutsche Gesellschaft integriert werden, nicht in irgend eine Religionsgemeinschaft. Deutschland besitzt keine Staatsreligion, auch wenn manche Menschen das ganz sicher sehr bedauern. Religion ist hier Privatsache. Zumindest so lange, wie sie niemanden gefährdet. In Israel mag das ein wenig anders sein. Ich habe jedenfalls mitunter das Gefühl, da sei der Antiislamismus nicht weniger "Staatsdoktrin", als der Antisemitismus in den Ländern "Staatsdoktrin" ist, die Michael Fürst aus Höflichkeit "nicht herausgreifen" möchte - von der Türkei mal abgesehen.

     

    Wie dem auch sei. Wenn überhaupt jemand den (überwiegend bereits erwachsenen) Neuankömmlingen "beibringen" kann, dass "sich das hiesige soziale System von dem ihrer Herkunftsländer unterscheidet", dann können das jedenfalls nicht genau jene Institutionen sein, die das "soziale System" der "Herkunftsländer" ganz gerne weiterführen würden in ihrer neuen Heimat. Einfach deswegen, weil es (gefühlt) mit ihrem Heimatbegriff untrennbar verbunden ist für sie.

     

    Ach ja, eins noch: Wenn der "Chef des jüdischen Gemeindeverbands Niedersachsen" aus eigener Erfahrung weiß, wie "schwer zu erreichen" manche Leute nicht allein auf Grund sprachlicher Barrieren sind, sollte er sich nicht weiter wundern, wenn die Chefs muslimischer Verbände ein ähnliches Problem haben. Der "Konkurrenz" Versagen vorzuwerfen, wenn sie weder die ganz Jungen noch die ganz Alten erreicht, und schon gar nicht die, die in Deutschland lieber säkular leben wollen, wäre ziemlich unredlich.

    • @mowgli:

      Im letzten absatz geht es darum, dass Fürst seine leute nicht für interreligiöse veranstaltungen gewinnen kann, da sie hauptsächlich russisch sprechen (nicht das er sie nicht erreichen würde).

      Bei muslimverbänden ist das vergleichbar, es gibt viel die arabisch / türkisch sprechen, die erreicht diese vereine natürlich, aber da sie auch kein deutsch sprechen, sind interreligiöse veranstalltungen schwer zu organisieren.

      • @Domi Martin:

        und für was gibts denn Ausländerbeiräte, in jeder Gemedine sitzen Ausländer vertreter!