Der Wunderbaum

ERFINDER Gegen stickige Innenstädte helfen beispielsweise Bäume. Wer wenig Platz hat, kann nun zu einer Alternative greifen: ein Kubus mit Lichteffekten, Werbebotschaft – und Baumfunktionen

DRESDEN taz | Das ist das Innenstadtproblem schlechthin: Es stinkt und kratzt, die Luft ist zu dick zum Atmen. Zu viele Abgase, zu wenig Frischluft. Da müssten vielleicht ein paar Bäume her. Oder ansonsten auch eine Baumersatzmaschine. Kein Witz, die gibt es: Ein Dresdner Unternehmen hat sie erfunden. Ihr „Citytree“ soll 275 Bäume ersetzen – und damit laut laut Herstellern ein Glücksfall für jede Innenstadt sein.

Entwickelt haben diesen Superluftreiniger vier Studenten aus Dresden. Green City Solutions nennt sich ihr im März 2014 gegründetes Start-up, das interdisziplinär Architektur, Maschinenbau, Gartenbau und Medieninformatik verbindet. Nach der Aufstellung eines Prototyps in Jena erzielte das Unternehmen nun mit zwei Mustern in Oslo einen ersten interna­tio­nalen Durchbruch. Ihr Kunstbaum, der aussieht wie ein ungewöhnlicher großer, grüner Werbeaufsteller mit Sitzgelegenheit, vereint zahlreiche Funktionen in einem.

Klar ist: Der Klimawandel und die Luftbelastung mit Kohlendioxid, Stickoxiden und Feinstaub verlangen insbesondere in Ballungsräumen nach Lösungen. Inspiriert von begrünten Fassaden südeuropäischer Innenstädte, machten sich die Dresdner Studenten also an ihr Produktdesign, das die natürliche Lufterneuerung durch Pflanzen nun wesentlich effizienter gestalten soll als der gemeine Baum.

Es geht um Moos

Auf ihrem Citytree, einem senkrecht stehenden, relativ schmalen Korpus von 3 mal 4 Metern Fläche, sind zahlreiche kleine Töpfe angeordnet. Entscheidend für die Wirkung sind spezielle Mooskulturen. Sie dienen als Substrat für möglichst großblättrige Pflanzen, zum Beispiel winterharte Sukkulenten. Hier findet die klassische Photosynthese statt, also die Umwandlung von Kohlendioxid in Sauerstoff mithilfe von Licht und Chlorophyll.

Die Mooskultur bindet aber auch Stickstoff, wie es sonst nur die Wurzeln von Pflanzen tun. Mikropartikel in der Luft werden geradezu angesaugt, elektrostatisch festgehalten und vom Moos „gefressen“. Bewässert wird der Block durch natürliches Regenwasser, das sich in einer Bodenwanne sammelt. Von dort pumpt ein Motor, der von einem Akku und Solarzellen angetrieben wird, es nach oben. Ein natürlicher Kühleffekt tritt in der Umgebung ein.

Relevantes Plus: Die Bepflanzung kann zu Werbezwecken in Form eines Logos gestaltet und mit beleuchteten Pixeln unterstützt werden. Ein WLAN-Hotspot lässt sich ebenso einbauen wie eine Ladestation für E-Bikes. Etwa 25.000 Euro kostet private oder kommunale Kunden ein solcher Lufterneuerer. Rund 116 davon wären nötig, um in Berlin-Mitte alle Grenzwerte einzuhalten, haben die Jungunternehmer errechnet.

Was bringt’s?

Ist ihr Kunstbaum wirklich so großartig, wie sie es vorrechnen? Eine eingehende wissenschaftliche Bestätigung seiner Effekte steht noch aus. Oberassistent Victor Goldberg von der Fakultät Umweltwissenschaften der TU Dresden bescheinigte dem Projekt „Potenzial zur Verbesserung des Lokalklimas“. Skeptischer zeigt sich der Klimaforscher Felix Ekardt. Die Kompensationswirkung von Bäumen und Pflanzungen auf Treibhausgase werde allgemein überschätzt, sagt er. Das sieht möglicherweise auch die Wahlheimat des Unternehmens selbst so. Die Stadt Dresden zeigte bislang noch kein Interesse an dem Baum der Bäume.

Michael Bartsch