Kolumne Bridge & Tunnel: Kürbisterror
Was riecht nach Zimt und verliert seinen Kopf? Eine New-York-Kolumnistin, die keine Pumpkin-Spezialität an Halloween auslässt.
D ieses Jahr, habe ich beschlossen, mache ich zu Halloween einfach alles mit. Ich laufe zwischen mit Watte-Spinnweben behängten Zäunen, hinter denen ausgehöhlte Kürbisse hervorgrinsen und Gerippe sich auf Plastikgrabsteinen rekeln, zu meinem Coffee Shop, um den Tag mit einer Pumpkin Latte, einem Kürbismilchkaffee, zu beginnen. Dazu esse ich einen Kürbisbagel mit Kürbisfrischkäse. Eigentlich schmeckt alles in erster Linie nach Zimt.
Mir ist ein bisschen schlecht, aber ich nehme trotzdem eine Scheibe Pumpkinloaf, ein klitschiges, kuchenartiges Brot, das sonst mit Bananen gemacht wird, den Oktober hindurch bis zu Halloween am 31. aber auch mit Kürbis angeboten wird. Dazu noch den Pumpkindonut mit orangefarbener Glasur mit Kürbisaroma; die Bedienung mit der Kürbismaniküre – alle Nägel grellorange, die Nägel der Ringfinger ziert ein schwarzes Spinnennetz – meint, der sei einfach unwiderstehlich.
Ich könnte im selben Café zum Mittagessen bleiben, zum Lunch gibt es: Vorspeise Kürbissuppe, Hauptgericht Pumpkin Mac'n‘Cheese. Beim Nachtisch kann man zwischen Pumpkin Cheesecake oder Pumpkin Pie wählen. Ich muss aber ein bisschen frische Luft schnappen, die Übelkeit wegatmen.
Mein Hund pinkelt in die Spinnweben oder gegen die Jack O’Lanterns, die Kürbislaternen, weil das alle Hunde vor ihm auch so gehalten haben. Wir treffen zwei Chihuahuas im Kostüm, der eine geht als Hobbit, der andere als Kürbis. Mein Hund knurrt.
Pumpkin-Facial für 95 Dollar
Das Beauty-Spa hat ein Halloween-Special, sehe ich auf einer Stelltafel. Vielleicht kann man sich ein Horror-Make-up schminken lassen? Das Special ist ein fünfzigminütiges Pumpkin-Facial für 95 Dollar! Auf dem Empfangstischchen steht eine Kürbisduftkerze. Ich muss ganz schnell raus, ich bin noch nicht wieder so weit.
Die Kita schickt ihren täglichen Newsletter. Die Kinder haben heute Pumpkin-Playdough gemacht, Kürbisknete. Auf den Fotos haben alle orange Hände und freuen sich unheimlich. Ich muss einkaufen, in der Obstschale liegt nur noch der Zierkürbis, den meine Nachbarin mir überreicht hat: „Your first pumpkin of the season!“
Vor meinem Supermarkt türmen sich Kürbisse aller Größen, 130 Dollar kostet der Monsterkürbis. Drinnen dämmert mir, dass der meiste Kürbiskrempel gar nicht mit frischen Kürbissen zubereitet wird. Die Leute stapeln Dosen mit Pumpkin Pulp, fertigem Kürbispüree, in ihren Einkaufswagen. Den Kürbisfrischkäse gibt es von Philadelphia, gleich neben dem Pumpkin-Latte-Mix.
Aus Protest koche ich zum Abendessen ein frisches Kürbisrisotto. Ich bekomme eine SMS von einer Freundin, ob ich auf Drinks vorbeikommen möchte. Klar möchte ich, nach dem ganzen Kürbiswahnsinn. Ich treffe auf eine kichernde Runde von Leuten, die sich über mehrere Flaschen beugen. Sie mixen gerade „Pumpkintinis“, eine Martinivariante mit Kürbislikör. Der Rand des Glases wird in Zimt und Zucker getaucht. Ich möchte jetzt doch lieber ein Bier, aber es gibt nur Shipyard Pumpkinhead, knallsüß und ebenfalls mit Zimt und Muskat gewürzt.
Ein Pärchen erzählt, dass sie sich genau vor einem Jahr auf einem Pumpkin Patch kennengelernt haben, einem Kürbisfeld, wo man zum Ernten hingehen kann. Immerhin: auf einem Feld, nicht online, nicht über Tinder! In Sleepy Hollow war das, am Hudson River in Upstate New York, da, wo der kopflose Reiter laut einer Kurzgeschichte von Washington Irving sein Unwesen getrieben haben soll. Christopher Walken verkörpert ihn aufs Gruseligste in dem Film von Tim Burton. Der kopflose Reiter sucht seinen Schädel und schlägt deshalb allen möglichen Leuten den Kopf ab, nur um festzustellen, dass er nicht passt. Sleepy Hollow ist ein beliebtes Ausflugsziel zu Halloween, es gibt dort Reenactments der Legende vom „Headless Horseman“.
Wir stoßen auf das Einjährige an. Ich hatte gesagt, ich mache alles mit, also nehme ich doch einen Pumpkintini. Nachts träume ich davon, wie ich auf einem Pumpkin Patch mit einer Pumpgun Kürbisse zerschieße. Als ich aufwache, habe ich einen Schädel so groß wie der 130-Dollar-Monsterkürbis. Ich wünsche mir kurz, der kopflose Reiter käme vorbeigeritten und würde mich erlösen. Aber meine Nachbarin hat einen hervorragendes Katerrezept: Kürbiskerne.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Die Wahrheit
Der erste Schnee