Vorwärts in die Vergangenheit

Polen I Bei den Parlamentswahlen gewinnt die rechtsnationale Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) des Ex-Ministerpräsidenten Jarosław Kaczyński eine absolute Mehrheit und löst die Bürgerplattform ab

Rechte Verführung: Beata Szydło von der nationalkonservativen PiS soll Regierungschefin werden Foto: Tomasz Gzell/dpa

Aus Warschau Gabriele Lesser

Polens Boulevardblätter titelten am Montag in seltener Übereinstimmung: „PiS greift sich Polen“ und „Kaczyński greift sich Polen“. Die linksliberale Gazeta Wyborcza, nach wie vor die auflagenstärkste seriöse Tageszeitung Polens, wählt symbolträchtig Schwarz für die Titelzeile: „PiS greift sich alles“, während die konservative Rzeczpospolita in roten eleganten Lettern daherkam: „PiS regiert alleine“.

Die Titelseiten geben die Stimmung nach dem Erdrutschsieg der rechtsnationalen Partei „Recht und Gerechtigkeit „PiS bei den Parlamentswahlen vom Sonntag gut wieder. Angesichts der Umfrageergebnisse hatte die Gazeta noch vor der Abstimmung gewarnt: „Auf dem Spiel steht die Demokratie selbst.“

Obwohl endgültige Ergebnisse noch nicht vorlagen, war am Sonntagabend klar, dass der PiS-Parteichef Jarosław Kaczyń­ski sein Ziel erreicht hatte: die absolute Mehrheit im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus.

Zweitstärkste Partei wurde die liberalkonservative Bürgerplattform PO, die in den letzten acht Jahren gemeinsam mit der gemäßigten Bauernpartei PSL die Regierung gestellt hatte. Zwar meinte die demnächst abtretende Premierministerin Ewa Kopacz am Wahlabend noch: „Wir hinterlassen Polen in einem guten Zustand“, doch ihre Stimme zitterte dabei.

Immerhin hatten ihr die Wähler gerade mehr als deutlich gezeigt, dass sie den Wechsel wollten. Nicht noch mehr Autobahnen, Einkaufszentren und Versicherungspaläste sollen entstehen, vielmehr will die Mehrheit bezahlbare Wohnungen, sichere Arbeitsplätze, ein auskömmliches Einkommen und die Rückkehr zum Renteneintrittsalter von 60 Jahren für Frauen und 65 Jahren für Männer.

All das versprach die PiS in ihrer Wahlkampagne. Der rechtsradikale Rocksänger PawełKukiz lockte mit seiner Protestbewegung „Kukiz’15“ vor allem junge Wähler an. Für die Totalverweigerung gegenüber dem „System“, die Auflösung aller demokratischen Parteien und die Repolonisierung ausländischer Firmen in Polen oder zumindest eine Sondersteuer für ausländische Unternehmen stimmten knapp 9 Prozent aller Wähler.

Kukiz’15 wird mit 42 Sitzen im Sejm die drittstärkste Partei stellen. Der Rocksänger kündigte bereits an, dass er die Regierungspolitik der PiS, soweit sie seinen eigenen radikalen Zielen entspricht, unterstützen werde.

Vielmehr will die Mehrheit bezahlbare Wohnungen, sichere Arbeitsplätze

Neu im Sejm ist neben Kukiz’15 auch die unternehmerfreundliche Nowoczesna (Moderne) des Ökonomen Ryszard Petru. Sie konnte knapp 8 Prozent der Wähler von ihren Zielen überzeugen, zu denen allerdings auch zahlreiche Verbesserungen für Arbeitnehmer gehören. Wichtig für Petru ist auch die solide Ausbildung der Facharbeiter und Hand­werker.

Gerade noch über die Fünfrozenthürde geschafft hat es die gemäßigte Bauernpartei PSL, die gemeinsam mit der Bürgerplattform acht Jahre lang die Regierung stellte. Obwohl Polen nach wie vor zu einem guten Teil agrarisch geprägt ist und die Bauernpartei ihre Stammwähler vor allem auf dem Land hat, haben dieses Mal zahlreiche Bauern ihr Kreuzchen neben der rechtsnationalen PiS gemacht. Ausschlaggebend waren der Wunsch nach einer frühen Rente und die Angst vor Ausländern – die auf dem Land ganz besonders grassiert, obwohl es dort fast gar keine Ausländer gibt.

Eine Pleite sondergleichen mussten die linken Parteien hinnehmen. Weder das Wahlbündnis Vereinigte Linke ZL noch die neue linke Partei ­Razem (Gemeinsam) schafften es über die Fünf- bzw Acht­prozenthürde (für Wahlbündnisse).

Entgültige Ergebnisse lagen am Montagnachmittag noch nicht vor. So hoffte der rechtsradikale Janusz Korwin-Mikke bis zuletzt, dass seine Partei, die kurz unter der Fünfprozenthürde lag, es doch in den Sejm schaffen würde. Am Dienstag sollen die Zahlen feststehen.