Utopien zum Selberbauen

Hausbau Unter dem Titel „Wohnungsfrage“ geht man im Haus der Kulturen der Welt der Frage nach, wie sich in Zeiten zunehmender Wohnungsknappheit das Wohnen neu denken und leben lässt – Berliner Initiativen wie Kotti & Co haben dafür Modelle entwickelt

Anders wohnen, Wohnungen neu denken: das „Urban Forest“-Modell bei der „Wohnungsfrage“-Schau Foto: Atelier Bow-Wow

von Malene Gürgen

Rote und blaue Stahlregalteile, zu einem hüttenartigen Gerüst verschraubt, stehen in der Mitte des Ausstellungsraums im Haus der Kulturen der Welt, wo gerade noch am Aufbau der „Wohnungsfrage“-Schau gearbeitet wird. Sie kommen aus dem mexikanischen Tijuana, der am schnellsten wachsenden Stadt des Landes, direkt an der Grenze zu Kalifornien gelegen. Riesige informelle Siedlungen haben sich dort um die sogenannten Maquiladoras gebildet – die ausländischen Montagebetriebe, die sich hier angesiedelt haben, weil sie aufgrund des nordamerikanischen Freihandelsabkommens in dieser Gegend weder Zölle noch menschenwürdige Löhne zahlen müssen.

Mit und in diesen informellen Siedlungen arbeitet der Architekt Teddy Cruz aus San Diego in Kalifornien, gleich gegenüber von Tijuana. Er entwirft etwa Stahlkonstruktionen, die die oft an Hängen gebauten Hütten vor Erdrutschen schützen sollen und gleichzeitig billig sind. Und mit Teddy Cruz hat in den letzten Monaten die Berliner Ini­tia­tive Kotti & Co gearbeitet, die mit ihrer Hütte am Kottbusser Tor selbst einen informellen Ort geschaffen haben, allerdings gewollt: als Protestbau gegen die steigenden Mieten und den Ausverkauf des sozialen Wohnungsbau. Gemeinsam haben sie das Gerüst entwickelt, das der Architekt in Anspielung auf das Häuschen am Kottbusser Tor „The Retrofit Gecekondu“ genannt hat.

„In der Arbeit von Teddy Cruz wie auch bei uns geht es um die Frage, was nachbarschaftliche Ermächtigung bedeutet und was es dafür braucht“, sagt Sandy Kaltenborn von der Kreuzberger MieterInneninitiative. Das Gerüst, einfach zusammenzubauen, flexibel und trotzdem stabil, soll darauf eine Antwort geben: Ein Modell wurde einer Familie in Tijuana übergeben, die es als Grundstock für ein eigenes Haus nutzen will. Das zweite geht nach der Ausstellung an Kotti & Co und soll dann überall in der Stadt aufgebaut werden können: als Versammlungsort, temporäre Unterkunft oder Protestzelt.

Der gerade in Berlin wieder ziemlich dringlichen Frage, wie Wohnraum geschaffen werden kann, der auch für breite Schichten „bezahlbar“ ist und bleibt, widmet sich das Projekt „Wohnungsfrage“ im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10. Die Beziehung von Architektur, Wohnungsbau und sozialer Realität soll dabei in einer Ausstellung, einer international besetzten Akademie und einer Publikationsreihe untersucht werden.

In der Ausstellung werden unter anderem Modelle und Wohnkonzepte präsentiert, die Berliner Initiativen wie Kotti & Co gemeinsam mit Architekturbüros entwickelt haben. Eröffnung Donnerstag, 22. Oktober, um 19 Uhr. Ausstellungsdauer bis 14. Dezember.

Vom 22. bis 28. Oktober wird die Wohnungsfrage in einer Akademie als universelle Herausforderung diskutiert, auch mit öffentlichen Vorträgen – dabei heißt es Eintritt frei. Und zum Nachlesen gibt es zur „Wohnungsfrage“ eine zwölfteilige Publikationsreihe, in der bereits historische Schlüsselwerke wie „Das wachsende Haus“ vom einstigen Berliner Stadtbaurat Martin Wagner oder „Zur Wohnungsfrage“ von Friedrich Engels mit Kommentaren erschienen sind. Info: www.hkw.de

Modelle fürs Wohnen

Insgesamt vier solcher 1:1-Modelle, die aus der Kooperation von Berliner Initiativen mit Architektenbüros aus verschiedenen Ländern entwickelt wurden, bilden den Kern der Ausstellung „Wohnungsfrage“, die ab nächster Woche im Haus der Kulturen der Welt zu sehen ist. Mit verschiedenen künstlerischen und architektonischen Arbeiten folgt sie der Frage, wie sich Wohn- und die damit verknüpften Lebensbedürfnisse auch in Zeiten von zunehmender Verdrängung und Wohnungsmangel erfüllen lassen. Bei den Modellen geht es um unterschiedliche Wohnbedürfnisse und um das Verhältnis zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, Gemeinschaft und Individualität. Dafür haben die kampferprobten Se­nio­rInnen von der Stillen Straße, die 2012 ihren Pankower Freizeittreff besetzten, gemeinsam mit dem jungen Londoner Architekturkollektiv ­Assemble ein zweigeteiltes Modell geschaffen.

Die eine Hälfte bildet eine klassische Eigentumswohnung, die Sicherheit und eine langfristige Perspektive bieten soll. Die andere Hälfte besteht aus einem großen Raum, der dazu gemietet werden kann und flexibel nutzbar ist. „Das kann ein Wohnzimmer sein, solange man hier mit seiner Familie lebt“, erklärt die Ausstellungskoordinatorin Jessica Paez, „später, wenn man sich verkleinern möchte, kann der Raum an die Hausgemeinschaft zurückgegeben und gemeinsam genutzt werden.“

Sicherheit und Beständigkeit, aber auch die Möglichkeit, sich an verändernde Lebensumstände anzupassen, und das Bedürfnis nach Gemeinschaft: Diese Wünsche hätten bei den RentnerInnen im Mittelpunkt gestanden. Die Kooperation mit den Londoner ArchitektInnen habe sich dann „erstaunlich intensiv“ entwickelt, sagt Paez, mehrere gegenseitige Besuche inklusive. Das 1:1 stehe bei den Modellen nicht nur für die Größenordnung, sondern auch für den direkten Kontakt zwischen Architekten und Auftraggebern, erklärt sie.

„Bei allen Modellen ging es uns um nachhaltige und finanzierbare Vorschläge“

Jessica Paez, Koordinatorin

Zwei weitere Modelle beschäftigen sich mit den Wohnbedürfnissen und -realitäten von StudentInnen sowie KünstlerInnen: eine verschachtelte Groß-WG mit wenig Privat- und viel Gemeinschaftsfläche das eine Modell, eine Kombination aus Atelier, Wohnung und Ausstellungsraum das andere. „Bei allen Modellen ging es uns um nachhaltige und finanzierbare Vorschläge, die aber gleichzeitig dazu einen utopischen Gehalt haben“, sagt Jessica Paez.

„Dass unser Modell hinterher wirklich verwendbar ist, war uns besonders wichtig“, sagt Sandy Kaltenborn von Kotti & Co: „Wir wollen auch in so einer Ausstellung den Bezug zur Stadt, zur gesellschaftlichen Realität schaffen.“ Und damit meint er nicht nur die mexikanischen Maqui­la­doras: „Wenn es nach mir ginge, könnte das Gerüst längst raus aus dem Museum – und vor das Lageso, wo man es gerade wirklich brauchen könnte.“