piwik no script img

Hamburger Härtefall-Kommission ohne „harte Hunde“Keine Gnade für Rechtsaußen

Die AfD in der Hamburger Bürgerschaft will vor dem Verfassungsgericht klagen, weil ihre Abgeordneten keinen Platz in der Härtefallkommission bekommen

Wünscht sich manch Hamburger Abgeordneter: AfD abschieben – zumindest aus der Härtefallkommission Foto: Ralf Hirschberger/dpa

HAMBURG taz | Die Niederlage droht zweistellig zu werden: Bereits neun Mal ist die AfD-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft bei dem Versuch gescheitert, Vertreter in die Härtefallkommission des Parlaments zu entsenden. Deshalb will sie nun Klage vor dem Landesverfassungsgericht erheben. Das erklärte der Rechtsanwalt und AfD-Abgeordnete Alexander Wolf am Donnerstag auf Anfrage der taz. Offiziell müsse die Fraktion darüber noch beschließen, „aber es geht in diese Richtung“, so Wolf.

„Wir sind eine demokratisch gewählte Partei“, hatte Fraktionschef Jörn Kruse bereits vor Wochen klargestellt, „und haben deshalb einen Anspruch auf einen Platz in dieser Kommission.“ Dabei handele es sich um „verfassungsrechtlich garantierte Minderheitenrechte“, unterstrich Wolf, und die dürfe die Mehrheit im Parlament nicht nach Belieben missachten.

Unstrittig ist das Recht der AfD, einen Vertreter und zwei Stellvertreter für das parlamentarische Gnadengremium zu benennen, das abgelehnten Asylbewerbern aus humanitären Gründen ein Bleiberecht zuerkennen kann. Nur wurden die AfD-Kandidaten bislang nicht von den anderen Fraktionen akzeptiert und haben daher keine Mehrheit in der Bürgerschaft gefunden. Deshalb änderte die Parlamentsmehrheit seit April schon zwei Mal das Kommissionsgesetz, damit das Gremium arbeitsfähig ist und von der offenen AfD-Personalie nicht blockiert wird (siehe Kasten).

Zuletzt fielen am Mittwochabend in geheimer Wahl Wolf und als Stellvertreter der ehemalige Schill-Innensenator Dirk Nockemann durch. Hinter vorgehaltener Hand geben manche Abgeordnete anderer Parteien zu, dass sie keine AfD-Hardliner in dem Gnadengremium wollen.

Härtefälle

Am 15. April änderte die Hamburger Bürgerschaft mit den Stimmen von SPD und Grünen sowie Linken und FDP und der fraktionslosen Abgeordneten Dora Heyenn erstmals das Härtefallkommissionsgesetz.

Der Wortlaut: „Die Härtefallkommission gibt sich mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der Stimmen ihrer ordentlichen Mitglieder eine Geschäftsordnung.“ Damit wird das bisherige Konsensprinzip durch das Mehrheitsprinzip abgelöst und ein faktisches Veto-Recht einer Fraktion verhindert.

Das Härtefallkommissionsgesetz änderte die Bürgerschaft bereits zwei Monate später, am 9. Juli, mit den Stimmen von SPD und Grünen sowie CDU, Linken, FDP und der fraktionslosen Abgeordneten Dora Heyenn erneut.

Der Wortlaut: „Sollten nicht alle von den Fraktionen Benannten gewählt werden, kann sich die Härtefallkommission gleichwohl konstituieren, wenn zumindest die von zwei Dritteln der Fraktionen Benannten durch die Bürgerschaft gewählt und durch den Senat berufen worden sind.“ Damit ist sichergestellt, dass das Gremium mit vier von sechs Mitgliedern – also auch ohne die AfD – arbeitsfähig ist.

Vor allem Ex-Schillianer Nockemann steht bei Demokraten auf dem Index: „No-No-Nockemann“ sagen Zartfühlende, Hartgesottene zitieren das Bild von der „nach oben offenen Arschloch-Skala“. Und Wolf, Alter Herr der als rechtsextrem geltenden Burschenschaft „Danubia“, hatte Anfang September mit einer Schmährede gegen Flüchtlinge für einen Eklat im Parlament gesorgt. Die AfD lege „das geistige Fundament für Brandstifter“, empörte sich daraufhin Karin Prien (CDU). Die fraktionslose Abgeordnete Nebahat Güçlü nannte Wolf „eine Schande für das Parlament“.

Bei der Personalie prallen das Partizipationsrecht einer Fraktion und das Recht auf freie Entscheidung von Abgeordneten aufeinander. Nach einem Gutachten des Juristen Dietrich Murswiek von der Universität Freiburg, das die AfD Ende September vorstellte, hat diese – wie die anderen Fraktionen auch – das Recht, Vertreter in die Härtefallkommission zu entsenden. Wie das aber umzusetzen wäre, bleibt juristisch offen.

Deshalb schlägt Gutachter Murswiek zwei neue Verfahren bei der Besetzung der Sitze im Gremium vor. Zum einen könnten die Mitglieder der Kommission künftig en bloc zur Wahl stehen: Dann müsste die Bürgerschaft alle Kandidaten wählen – oder alle ablehnen. Alternativ könnte jeder Fraktion ein Bestellungsrecht zuerkannt werden, eine Wahl durch die Bürgerschaft würde dann entfallen.

Nach dieser Expertise suchte die AfD das klärende Gespräch. „Wir hoffen auf die Einsicht der anderen Fraktionen“, sagte Kruse. Bislang vergeblich. „Die AfD fühlt sich jetzt auf der sicheren Seite“, sagte eine Abgeordnete. Ein anderer Abgeordneter kritisiert: „Die machen auf dicken Max.“

Ihre Forderungen stellt die AfD jedoch vielleicht zu Unrecht: Im Mai war der AfD-Abgeordnete Joachim Körner als stellvertretendes Mitglied der Härtefallkommission gewählt worden – und der habe in Abwesenheit anderer AfDler „ein Stimmrecht“, befindet der Justiziar der Bürgerschaftskanzlei in einer gestern verfassten Stellungnahme, die der taz vorliegt. Juristisch droht somit ein Patt. Oder das Verfassungsgericht muss es entscheiden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • AfD-Gutachter mit nationaldemokratischer Vergangenheit

     

    Dietrich Murswieck, Gutachter für die Hamburger AfD, gehörte als Student zwei Semster dem Nationaldemokratischen Hochschulbund, der Studentenorganisation der NPD an und war Mitglied im Bundesvorstand der Deutschen Jugend des Ostens.

    Am 21. Mai 1970, dem Vorabend des Treffens Brandt/Stoph, kam es in Kassel zu einer überwiegend von jungen Rechten getragenen Demonstration. Im Verlauf der Demonstration wurde u.a. von Dietrich Murswiek die DDR-Flagge

    öffentlich (medienwirksam) zerrissen.

    Gegen seine Berufung als Professor auf den Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht 1990 demonstrieren die Studierendenvertretung und 20 Professoren. Die SPD-Landtagsfraktion kritisierte seine Berufung und hielt ihm seine Vergangenheit vor.