: Die Freiheit der Freitagsbriefe
Presse In den offiziellen Medien finden sich auch viele kritische Stimmen und Beschwerden zu diversen Alltagsproblemen – auf der Leserbriefseite
Von Geisy Guia Delis
Stellen Sie sich vor, es ist Freitag, Sie sind in Kuba, und Sie wollen wissen, was im Land gerade so los ist. Es ist früh am Morgen, aber die einzige Nachrichtensendung des Kubanischen Fernsehens auf dem Sender TeleRebelde ist schon vorbei. Sie gehen auf die Straße, die von Fußgängern verstopft ist, die zur Arbeit hetzen, geschäftige Eile vielleicht auch nur vortäuschen und versuchen, der Sonne zu entfliehen. Sie laufen ein paar Blocks.
Ihnen fällt wieder ein, warum Sie eigentlich unterwegs sind: Sie wollen eine Zeitung kaufen, und bei den Alten, die ihr schmales Angebot in irgendeinem Park anbieten, wählen Sie die Granma aus, das offizielle Organ des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas. Wieder zu Hause und ganz in Ruhe stellen Sie fest, dass der kritischste Artikel, den Sie beim Durchblättern der Zeitung gefunden haben, nicht von Journalisten stammt. Auf der Seite 10 finden Sie unter „Inlandsnachrichten“ mit präzisen Informationen, Fakten und Adressen untermauerte Berichte über alle möglichen Probleme. Sie lesen die Leserbriefseite.
Unvermeidlich schießt Ihnen eine Frage durch den Kopf: Wie ist es möglich, dass in einer so offiziellen Zeitung Beschwerden veröffentlicht werden, die oft ins Absurde abrutschen – nicht, weil die Forderungen unsinnig wären, sondern sie ganz offensichtlich mit ein ganz klein bisschen Engagement ohne weiteres zu erfüllen wären. Die Unfähigkeit von Staatsbediensteten, die Klagen der Bevölkerung über ewige Verzögerungen erscheinen jeden Freitag auf den zwei Seiten, die die Zeitung den Beschwerden und Kommentaren, aber auch den Antworten der entsprechenden Staatsunternehmen zugesteht. Aber na gut, überall auf der Welt werden Leserbriefe geschrieben – warum tun Sie also so überrascht? Nochmal: Granma ist das offizielle Organ des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas. Alles, was dort erscheint, erscheint auf direktes Geheiß der Partei, die im übrigen auch alles kontrolliert und reguliert, was sich im kubanischen Journalismus abspielt. Man kann also daraus schließen, dass es im Interesse der obersten politischen Führung Kubas liegt, dass es Streit und Debatten gibt. Wenn das dann auch veröffentlicht wird, hilft das langfristig auch der Glaubwürdigkeit der Zeitung.
Das Dumme dabei ist, dass die Redakteure der Granma selbst es nicht schaffen, so direkt zu sein. Einige der Leserbriefe beziehen sich auch darauf. Für den Chefredakteur Pelayo Terry Cuervo bedeuten diese Briefe eine Annäherung zwischen dem, worüber wirklich gesprochen wird und dem, was die Medien schreiben – das Auseinanderklaffen dieser beiden Wirklichkeiten sieht er als „eines der großen Probleme des Landes. Die Medien laufen zur einen Seite, die Wirklichkeit auf die andere.“
Wenn Sie auf der Onlineseite der Granma weitersuchen, finden Sie noch mehrere solcher Briefe. Darunter auch einige, die voll des Lobes sind, etwa für die gute Betreuung durch ein Ärzteteam oder die gute Behandlung und Fürsorge staatlicher Einrichtungen. Es stimmt sicher, was Terry Cuervo sagt: „Die Leute wollen in einem Medium ihre Meinung sagen, denn die Medien haben noch immer eine Menge Einfluss.“
Sie wollen das jetzt auch. Also nehmen wir an, es ist Freitagnachmittag und Sie schreiben einen Brief an die Redaktion der Granma. Warten wir gemeinsam auf die Eingangsbestätigung.
Geisy Guia Delis,24, hat bis vor Kurzem bei Radio Rebelde gearbeitet. Seit September ist sie bei Periodismo del Barrio.
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