: Eiserne Lady und exotischer Rebell
MUSIKERINNEN Sträflich vernachlässigtes Thema – eine Konferenz über Gender und Identität im Jazzgenre am Jazzinstitut Darmstadt
Was, bitte schön, ist so faszinierend an einer Musik, die hypermaskuline Präsenz auf der Bühne seit rund hundert Jahren zum Gipfel des Konzertgenusses hochstilisiert? Diese Frage muss sich stellen, wer einmal Jazzmusikerinnen von ihren beruflichen Erfahrungen sprechen hört.
Beim 14. Darmstädter Jazzforum kamen am Wochenende Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen zu Wort. Die US-Künstlerin Yoko Suzuki aus Pittsburgh berichtete von ihrer Umfrage unter New Yorker Saxofonistinnen. Viele schildern die Erwartung anderer, so aggressiv, schnell, kräftig zu spielen wie ihre männlichen Kollegen. Manche leugnen den permanenten Wettbewerb und die Zuschreibung, sie als Frauen würden gefühlvoller spielen können.
Alle Befragten spielen Straight Ahead Jazz, also Material, welches auf den Bebop der vierziger Jahre zurückgeht und den potenten Solisten ins Zentrum stellt. Die Bedeutung dieses Repertoires und seiner permanenten, kompetitiven Wiederaufführung, befremdet hierzulande eher. Denn der Besuch von Jamsessions ist für die Karriere nicht zwingend. In Deutschland sind viele MusikerInnen weit davon entfernt, Straight Ahead Jazz abseits der Hochschulen für relevant zu halten.
Auf dem Jazzforum fehlten Analysen jüngerer künstlerischer Entwicklungen fast völlig, die Initiatoren der Tagung ließen theoretische Fundierung in Genderstudies schmerzlich vermissen. Denkanstöße gab es trotzdem. So führt der Wiener Soziologe Martin Niederauer die Dominanz von Männern auf den Bühnen und in der Geschichtsschreibung des Jazz auf eine jazzspezifische Produktion und Fortschreibung von Männlichkeit zurück. Fans kultivierten zum Beispiel homosoziale Beziehungsmodelle, die auf Spezialistentum, Wissenswettbewerb, Plattensammeln, somit also auf Abgrenzung nach außen basieren.
Niederauer sieht in afroamerikanischen Musikern „exotische Rebellen“, die Widerstand gegen rassistische Unterdrückung verkörpern. Diese ideologische Überfrachtung ist allerdings libidinös aufgeladen und passt zum verstaubten Jazzdiskurs, entstammen dessen Vertreter doch meist bürgerlichen Elternhäusern. Diese Position verstellt jeden Zugang für eine ästhetische Auseinandersetzung, etwa mit der Musik des afroamerikanischen Tenorsaxofonisten Kamasi Washington. Gegenwärtig wird er von vielen, auch jazzfremden Hörern hochgehalten. Aber die Jazzkritik kommt selten über seine Rolle als Erbe der Bürgerrechtsbewegung und Akkumulator von Jazzgeschichte und HipHop hinaus. Wenn Frauen im Jazz thematisiert werden, fallen immer Namen, von denen vorher niemand etwas gehört hat.
Die wahre eiserne Lady Großbritanniens – lange bevor Margaret Thatcher ihrem Spitznamen alle Ehre machte –, war nämlich Ivy Benson, deren schillernde Karriere die kanadische Historikerin Jenna Bailey in einem Vortrag aufzeigte.
Ab 1940 führte sie das Kommando über eine All Girl Band, bis in die Achtziger gingen mehr als 300 junge Frauen bei ihr in die Schule. Dafür verzichteten sie auf private Beziehungen und ließen drakonische Kontrollen von Aussehen und Körpergewicht über sich ergehen. Damit nicht genug, vorverurteile das Publikum diese oft als Nichtskönnerinnen, die entweder lesbisch oder promiskuitiv seien.
Die American-Studies-Professorin Sherrie Tucker hat bereits Pionierarbeit beim Suchen und Finden von Frauen in der Jazzgeschichte geleistet. In Darmstadt schlug sie einen überzeugenden Bogen von Musikerinnen und einflussreichen Frauen in den ersten Tagen des Jazz in New Orleans in den 1910er Jahren hin zu Akteurinnen der Harlem Renaissance, jener Künstlerbewegung im afroamerikanischen New York der dreißiger Jahre.
Vor dem Hintergrund weiblicher Lebensläufe in ethnisch und sozial sehr diversen Gemeinschaften wären Ideen zu Diversivität in aktuellen Jazzszenen zu entwickeln, um den Ausschluss von Frauen und die Unsichtbarkeit von Women of Color nicht noch weiter zu reproduzieren und neue kollektive Identitäten zu bilden.
Franziska Buhre
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