Ausbaufähige Inklusion

LEHRE Trotz Behindertenquote kommen Betroffene schwer ins Arbeitsleben. Berufsbildungswerke bieten ihnen zumindest Ausbildungsplätze

Im vergangenen Jahr hat eine Studie den Bremer BBW-AbsolventInnen Bestleistungen bescheinigt

Ob die Auszubildende im Büro im Rollstuhl sitzt oder nicht – für ihre Arbeit spielt das im Grunde keine große Rolle. Trotzdem ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass sie den Job bekommt. Dabei sieht das Sozialgesetzbuch seit 15 Jahren eine Quote vor: Unternehmen ab 20 Beschäftigten müssen Strafen zahlen, wenn sie nicht fünf Prozent ihrer Stellen an BewerberInnen mit Behinderung vergeben.

Doch während große Konzerne die Quote oft sogar noch übertreffen, hängen kleinere noch immer hinterher. Sie kaufen sich lieber frei, anstatt sich auf die Arbeit mit Gehandicapten einzulassen. Deren Problem beginnt spätestens nach der Schule mit der Suche nach einem Ausbildungsplatz.

Um den Einsteig in die Arbeitswelt zu erleichtern, gibt es in Deutschland gut 50 Berufsbildungswerke (BBW), die Benachteiligte ausbilden. Allein beim Bremer BBW sind das über 500 Azubis in Berufen von Agrarwirtschaft bis Zahntechnik. Neben der Ausbildung werden die jungen Menschen in Wohngruppen und im Internat medizinisch, psychologisch und sozialpädagogisch begleitet.

Die BBW betreuen daneben Menschen mit sozial bedingten Lernschwächen aus den so genannten „bildungsfernen Schichten“, denen „mangelnde Ausbildungsreife“ bescheinigt wurde. Das BBW Lingen im Emsland etwa hat sich auf Lernbehinderungen spezialisiert. Bereits seit Anfang der 1990er-Jahre werden dort Menschen mit der Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) und seit einigen Jahren auch AutistInnen gefördert.

„Trotz der ewigen Proklamation, es herrsche Fachkräftemangel, fallen viele Menschen durch das Raster“, sagt der Bremer BBW-Geschäftsführer Torben Möller. Ziel der Förderung ist der erste Arbeitsmarkt – der Versuch also, nach dem Ende der Ausbildung nicht länger geförderte Sonderjobs, sondern reguläre Stellen in der Wirtschaft zu besetzen.

Ginge es dabei allein nach der Qualifikation, stünden die BBW-AbsolventInnen eigentlich gut da: Bei den Kammerprüfungen, die sie gemeinsam mit regulären Azubis ablegen, ist die BBW regelmäßig weit vorne. Im vergangenen Jahr hat eine Studie der Bremer Karl-Nix-Stiftung zur Förderung herausragender SchülerInnen den BBW-AbsolventInnen Bestleistungen bescheinigt.

Laut Möller liegt das unter anderem an der Größe des Bildungswerks. Seine Tischler hätten etwa CAD-Maschinen, die es in kleinen Ausbildungsbetrieben nicht gebe. Außerdem dürften auch die speziell geschulten AusbilderInnen zum Erfolg beitragen. Die Vermittlungsquote der AbsolventInnen kann sich auf den ersten Blick sehen lassen: 60 Prozent der Azubis von 2014 konnten weitervermittelt werden.

Doch gemessen an den überdurchschnittlich guten Abschlüssen der BBW-Azubis ist das noch immer nicht viel. Natürlich müssen sich Unternehmen auf die Benachteiligten einstellen – wobei es dafür laut Möller viele Möglichkeiten gibt. Doch Vorurteile und Ängste stehen dem im Weg, so dass die berufliche Inklusion auch nach 15 Jahren Quote noch deutlich ausbaufähig ist.

Und das sagen nicht nur VertreterInnen der Behinderten-Verbände. Schon beim Schreiben von Bewerbungen stellt sich die Frage, ob man die eigene Behinderung nun erwähnt oder lieber verheimlicht. Und da empfehlen auch professionelle Bewerbungsratgeber, vorsichtshalber nicht mit der Tür ins Haus zu fallen. Jan-Paul Koopmann