Gedenkfeiern für John Lennon und Proto-Dada-Dichter, Punkmusiker als Lampendesigner und der peneTrante Duft der großen, weiten Welt: DJs haben taube Ohren
Ausgehen und rumstehen
von Jenni Zylka
I’m so tired / I haven’t slept a wink / I’m so tired / my mind is on the blink / I wonder should I get up / and fix myself a drink? Aber hallo, soll ich das, denn am Freitag wäre John Lennons 75. Geburtstag gewesen, und da gildet Müdigkeit schlichtweg nicht. Da muss man auf- und drüberstehen und sich daran erinnern, dass man die ersten paar Jahre seines Lebens in der Hoffnung gelebt hat, die Beatles kämen wieder zusammen. Bis dann, zwei Monate später, beim Frühstück die Meldung im Radio kam … und in der niedersächsischen Kleinstadt meine heißen Tränen ziemlich viel Schnee auf dem Schulweg schmelzen ließen …
In andächtiger Jubiläumslaune verweilend besuchte ich am Freitag also das Literaturhaus Berlin. Dort rekapitulierte man einen denkwürdigen Abend, der fast genau vor 100 Jahren stattgefunden hatte – die „Gedächtnisfeier für gefallene Dichter, veranstaltet von Hugo Ball und Richard Huelsenbeck“. Um an ihre im Weltkrieg gestorbenen (Tucholsky fand etwas später ein treffenderes Verb) Freunde zu erinnern, hatten Ball und Huelsenbeck dereinst drei weitere Menschen eingeladen, gemeinsam sprach man über und Verse von Ernst Stadler, Ernst Wilhelm Lotz, Walter Heymann und Charles Péguy.
Who’s fooling who
Und obwohl eigentlich alles toll ist, was meine Lieblingsdadaisten Ball und Huelsenbeck je verzapften, selbst wenn es vor dem offiziellen Dadastart war, taten sich die Beteiligten am Freitag schwer, so etwas wie Stimmung zu generieren. Zu trocken, zu biografisch und größtenteils – bis auf den Profirezitator Frank Arnold und die Lyrikerin Simone Kornappel – zu müde vorgetragen waren die vielen Fakten und die wenige Poesie der „dokumentarischen Lesung“, zu wenig Energie strahlte von der Bühne in den Raum.
Ich will ja nichts sagen, aber vielleicht hätte es auch schon geholfen, wenn zumindest einige der Vortragenden ein My mehr im Alter der Verfasser gewesen wären – Menno, es geht hier um verzweifelte, übergeschnappte, lebenslustige, anarchistische 22- bis 28-Jährige! Ich weiß noch, wie ich als Springinsfeld mal wütend aus einer Pippi-Langstrumpf-Theateraufführung stapfte, weil die angebliche Göre älter war als meine Deutschlehrerin. Who’s fooling who nannte das einmal ein Dancetrack.
Aber der Freitag hatte glücklicherweise noch ein echtes Highlight am Ende versteckt: die Eröffnung des Columbia Theaters am gleichnamigen Damm, in dem die GIs einst mit Popcorn warfen und seit den 80ern einiges an Veranstaltungskonzepten in den Sand gesetzt wurde. Das wird jetzt alles anders! Denn die neuen Betreiber haben – musikalisch und ästhetisch – Geschmack, und wer die schicke Tapete in der Retrobar bekritzelt, dem hau ich in die Seiten / und tret ihm aufs Pedal.
Mal sehen, wie John Lydon und Jon Spencer am nächsten Wochenende mit der freigiebigen Eleganz dieses Etablissements umgehen, aber wahrscheinlich sind die auch schon längst wieder heimlich Lampendesigner (genau wie andere langjährige Musiker) und können sich kaum an ihren hübschen Backstageräumen sattsehen.
Samstag hoppelte ich über ein paar schwache Mixgetränke am Nachmittag bei einer „Open House“-Veranstaltung – für was noch mal? – hinweg direkt in eine verschwiegene Bar in Mitte, wo wir uns am Tresen festkrallten und netterweise permanent die glimmenden Zigarettenfilter der Touris neben uns ausdrückten, denn die stanken gar zu sehr. Also die Filter, nicht die Touris! Und zwar selbstredend nach Peter Stuyvesant, dem Duft der großen, weiten Welt!
Ich fragte den unauffälligen DJ später doch noch nach ein paar Beatles-Songs wegen des Lennon-Wiegenfestes am Tag zuvor, stieß aber auf taube Ohren. Das ist bei DJs eh so eine Berufskrankheit.
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