: KUNST
KunstNoemi Molitorschaut sich in Berlins Galerien um
Wer im Glashaus sitzt, sieht alles. Pia Linz’ Version der Totalperspektive ist eine Form von räumlicher Einschränkung mit gleichzeitiger Weitsicht. In eigens gebauten Acrylglaskästen setzt sie sich in die Welt und zeichnet sie von innen auf die Scheiben ab. Jede durchsichtige Malvorrichtung, die sie baut, ist ihrer Umgebung angepasst. Malt sie unter einer Treppe, kriecht sie in ein Dreieck. Im eigenen Atelier – wie zurzeit im Ausstellungsraum des Deutschen Künstlerbundes zu sehen – winkelt sich der Glaskasten exakt zwischen Heizung und Fenster hinein. Die durchsichtigen Apparate scheinen kaum Platz zum Bewegen zu lassen. Die Distanz zwischen Linz und ihrer Umwelt wird so aufs Kleinste reduziert und doch über-markiert. Im Gegensatz zur so konstruierten Raumsicht stehen Kartografien des Volksparks Hasenheide, die Linz’ ausschweifende Spaziergänge durch den Park in Bleistift abbilden. Alles ist katalogosiert: ihre Schrittanzahl, mitgehörte Gesprächsfetzen, fallende Vogelkacke, Distanzen von A nach B. Die winzig hingekritzelten Notizen verwachsen mit den gezeichneten Baumverästelungen. Eine Lupe zum Entziffern wird dazu gereicht (bis 30. 10., Markgrafenstr. 67, Di.–Fr. 14–18 Uhr).
Etwas Rasterhaftes und doch Organisches zieht sich auch durch Hansjörg Schneiders „string drawings“, die bei Aando Fine Art gezeigt werden. Während ältere Serien aus Scherenschnitt konkrete Orte wie den Flughafen Tegel aus der Vogelperspektive nachvollzogen, haben die abstrakten Formen der hier gezeigten Tuschezeichnungen keine konkrete Verortung, entwickeln aber eine starke architektonische Energie. In einem horizontalen Verfahren lässt Schneider farbgetränkte Fäden auf die Papieroberfläche schnellen und Verdichtungen entstehen. So werden einige der Arbeiten auch als liegender Stapel präsentiert, dessen Oberseite ausgewechselt wird (bis 16. 10., Tucholskystr. 35, Di.–Sa., 12–18 Uhr).
Ein weiterer Künstler der Linie ist Timo Nasseri, zurzeit mit „Nine Firmaments“ bei Schleicher/Lange zu sehen. Seine Zeichnungen und Skulpturen spielen mit der Beziehung zwischen Strich und Räumlichkeit, gerader Linie und runder Form. An den Wänden werden geometrische Konstruktionen angedeutet, aber auch Formeln und Zeichen eingewebt, die noch nicht baulich umsetzbar sind. Was Nasseri tatsächlich in den dreidimensionalen Raum übersetzt hat, zeugt von seinem Faible für Mathematik. Rundungen erweisen sich als starre Stahlröhren, die durch ihre Anordnung und Schichtung je nach perspektivischem Winkel ihre ganze formwandlerische Illusion entfalten (Markgrafenstr. 68, Di.–Sa. 11–18 Uhr).
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