Petition gegen Wohnungskündigung: Käthe soll raus, Käthe soll bleiben
Ein Wohnungseigentümer kündigt sieben Demenzkranken einer Senioren-WG. Der Mieter klagt – und auch im Internet formiert sich Widerstand.
Ihr Blick schweift in die Ferne, mit einem Arm stützt sie sich am Türrahmen ab. Die 94-jährige Käthe Wagner steht vor ihrer Wohnung. Das Foto dieser Szene ist in Grautönen gehalten und wurde ins Internet gestellt, vom Berliner Verein „Freunde alter Menschen.“
Auf change.org dient Wagners Gesicht als Aufmacher für eine Onlinepetition. Über dem Foto prangt die Forderung „Kein Rauswurf von Käthe!“. Bereits 70.000 Menschen haben sich solidarisiert und unterzeichnet.
Käthe Wagner wohnt mit sechs weiteren Demenzkranken in einem Fachwerkhaus nahe dem Stadtpark Steglitz. Doch damit soll Ende November Schluss sein – zumindest, wenn es nach dem Eigentümer des Hauses geht.
Ein Vertragspartner des dänischen Eigentümers hat dem Mieter gekündigt. Mieter ist der Verein „Freunde alter Menschen“. Nach dessen Ansicht ist die Kündigung rechtswidrig. Vereinsgeschäftsführer Klaus Pawletko hat deshalb einen Anwalt eingeschaltet.
Mieter vermutet geschäftliches Kalkül
Pawletko vermutet ein geschäftliches Kalkül hinter der Kündigung: „Der Eigentümer will einfach mehr Geld aus der Immobilie rausschlagen.“ Das 115 Jahre alte Kontorhaus befindet sich im Hinterhof eines Häuserkomplexes, der sonst nur aus unattraktiven 70er-Jahre-Bauten besteht. Das Haus mit den Seniorenwohnungen gehört dem dänischen Eigentümer seit mehreren Jahren.
Im März war ein Firmenvertreter vor Ort, um mit dem Mieter zu sprechen. „Schon da wurde uns durch die Blume zu verstehen gegeben, dass man es gut finden würde, wenn wir doch bitte auszögen, weil sich die Immobile ‚entwickeln‘ soll“, erinnert sich Pawletko. „Der Vertreter sagte uns, das Haus sei nichts für alte Leute. Wenn wir es behalten wollten, bräuchte es mehr Geld.“
Den Vereinschef irritiert auch, wie viele Vertragspartner des Eigentümers in den Fall involviert sind – mindestens sieben. Das belegen Dokumente, die der taz vorliegen. „Die Kommunikation ist schwierig, ständig wechseln Ansprechpartner“, sagt Pawletko. Seine Vermutung: „Das ist extra so verschachtelt, damit niemand mehr durchblickt.“
Online-Petition mit 70.000 Unterschriften
Außerdem glaubt er, dass die Firma auf Zeit spielt – ohne Rücksicht auf die BewohnerInnen. „Der Worst Case wäre, wenn das Verfahren durch alle Instanzen läuft“, sagt Pawletko „Denn mit einem langen Atem lassen die uns einfach ausbluten. Die alten Menschen werden irgendwann wegsterben.
Der Verein dürfte keine Zimmer mehr an Hilfsbedürftige vermieten. „Dann könnten wir den Mietzins bald nicht mehr stemmen. Dabei gibt es schon jetzt ein leeres Zimmer und bedürftige Interessenten“, erklärt Pawletko – und verweist auf die schwere Lage am Immobilienmarkt: „Da was passendes zu finden, ist praktisch unmöglich.“
Die kündigende Firma wollte der taz telefonisch nichts Genaues sagen; sie teilte mit, ein Vertreter des Eigentümers werde sich dem Mieter demnächst schriftlich äußern. Die BewohnerInnen hat der Mieter nicht über das Thema informiert. Pawletko wolle vermeiden, dass die Demenzkranken unnötigem Stress ausgesetzt sind.
Dass Käthe Wagner nicht weiß, dass sie als Gesicht der Kampagne dient, sei kein Problem. Pawletko: „Sie hätte es selbst so gemacht und gewollt, an die Öffentlichkeit zu gehen. Das hat uns Käthes Tochter so gesagt und versichert.“
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